Die magische Bieterrunde – Solidarisch Wirtschaften

Eine wesentliche Neuerung in unserer ökonomischen Organisation, ist dass wir von den fix definierten Kostenverteilungen bei den Lebensmittelkosten zu einer „Bieterrunde“ umgeschwenkt sind. Nun zahlt jede:r nach Selbsteinschätzung für die Lebensmittel. Geht das gut? Für die nächsten 12 Monate haben wir es geschafft!
Michael Würfel, bei uns lebender Autor, Filmemacher, Zimmermann und Bauleiter erzählt hier seine Erlebnisse im Prozess dorthin.

18. Februar 2023: Heute war der Termin „meiner“ Bieterrunde für die monatlichen Lebensmittelkosten. Bisher bezahlte ich fürs Essen in Sieben Linden einen monatlichen Festbetrag plus einen Betrag für jeden anwesenden Tag. Die durchschnittliche Summe dieser Kosten eines Gemeinschaftsmitglieds lag bei 251 Euro.
Und in Zukunft soll es solidarischer laufen: Jede*r zahlt, was ersie kann; wer mehr hat, unterstützt die, die weniger haben.

Ich war skeptisch: gefühlt haben in unserer Gemeinschaft alle nicht viel Geld, und so eine „solidarische Finanzierung“ kann doch nur klappen, wenn es Leute gibt, die deutlich mehr geben als den Durchschnitt, damit andere wirklich weniger zahlen können. Ich würde meine eigenen Kosten monatlich ganz gut bezahlen können und sehe ja auch, dass sie real anfallen und bezahlt werden müssen – ich arbeite nur mäßig gut bezahlt, aber dafür recht viel. Tatsächlich ist es aber herausfordernd. Ich teile mein Geld mit drei Erwachsenen, von denen zwei auch gerade so ihre monatlichen Kosten verdienen und einer aufgrund eines Handicaps wesentlich weniger verdient als nötig. Leider haben wir auch noch nicht geschafft, das durch eine Erwerbsminderungsrente o.ä. ausgleichen zu lassen und es ist völlig offen, ob uns das noch gelingt. Jedenfalls ist das Geld knapp, und wir versorgen drei Kinder mit Wohnraum, Schule und was sonst noch so anfällt. In der Bieterrunde sind wir aufgefordert zunächst zu bieten, was wir einigermaßen gerne/gut geben können.

Um alle Mitglieder der Gemeinschaft teilhaben zu lassen, gibt es verschiedene Termine in kleineren Runden, die idealerweise jeweils die Summe zusammenbekommen, die in ihrer Runde rechnerisch nötig ist (Durchschnittswert multipliziert mal Anzahl der Mitglieder). Die Zusammensetzung der Runden ist Zufall, man hat sich einfach für Termine eingetragen, zu denen man sich Zeit nehmen konnte. Es kann allenfalls sein, dass an meinem Samstagstermin mehr Menschen sind, die unter der Woche einer Arbeit nachgehen als an den Terminen unter der Woche.
Geplant ist, im ersten Treffen nach einer Bieterrunde das gebotene Geld zusammenzuzählen und in einer weiteren Runde um Erhöhung der Gebote zu bitten, wenn die Summe noch nicht reicht.

In „meiner“ Bieterrunde (20 Bietende, davon 7, die sich vertreten ließen und nicht selbst anwesend waren) durfte zunächst jede*r erzählen, wie ersie zu der anstehenden Bieterrunde steht, und da waren eigentlich alle skeptisch bis ablehnend. Es ist verpflichtend, zu erscheinen oder jemandem sein/ihr Gebot mitzugeben; wer das nicht macht, bietet automatisch den Durchschnittswert in der ersten Runde und 20 Euro mehr in der zweiten Runde. Wir saßen da also ohne großen Optimismus, und dann schrieben wir unsere ersten Gebote mit unseren Namen auf Zettel. Ich hatte als Maximalgebot das im Kopf, was wir vier in meiner Familie jetzt im Durchschnitt bezahlen. Geld war immer zu knapp und hat uns Kopfzerbrechen bereitet, also ging ich für das erste Gebot („bieten, was wir einigermaßen gerne/gut geben können“) etwas weniger, als was wir bisher bezahlt hatten.

Ich half, die Zettel einzusammeln und war da schon überrascht, dass bei einigen mehr stand als der Richtwert von 251 Euro. Dann wurde alles in eine Tabelle eingetragen und addiert – und wir kamen in der ersten Runde auf etwas mehr als das nötige Ziel von 20 Mal 251 Euro. Magie! Ich war verblüfft und es gab allgemeine Freude und Berührtheit. War das jetzt wirklich wahr?
Jede*r kam nochmal zu Wort und drückte sich aus, und dann sagte jede*r auch nochmal, wie viel ersie geboten hatte und warum, und auch nach mehreren Nachfragen blieb deutlich, dass die Mitglieder der Runde gut mit ihren abgegebenen Geboten sein konnten und es für weitere Runden auch noch Spielraum gegeben hätte.
Dieser Austausch, der die ökonomischen Situationen der Einzelnen und auch ihren Umgang mit dem Thema Geld berührte, war intensiv und verbindend und ich glaube, wir gingen dann schließlich alle ganz beglückt nach Hause – mit dem Gefühl, dass in unserer Menschengemeinschaft gerade unerwartet etwas sehr Schönes passiert ist.

In der Gesamtsumme hat es dann noch nicht ganz gereicht, aber es fehlten nur ca. 500 Euro monatlich bei etwa 100 Menschen. Die kamen in einer dritten Runde rasch zusammen, ich bin hoch gegangen auf den Betrag, den wir bis jetzt bezahlt haben. Denn selbst, wenn ich nicht entlastet worden wäre, wir hätten uns auf jeden Fall viel Abrechnungsaufwand gespart (und tun das ja jetzt auch). Interessanterweise war diese dritte Bieterrunde mit sicher 60 Teilnehmenden nicht so beglückend wie der Austausch in der kleinen Runde. Bei 60 Menschen dauert eine Runde, in der jede*r mal zwei Sätze sagt, halt auch gleich eine halbe Stunde. Auch das eine interessante Erfahrung: Umso kleiner die Gruppe, desto leichter lässt sich vertrauen und Geld teilen. In meiner Familie, in der wir vier Erwachsenen seit 10 Jahren zusammen wirtschaften, geht es uns auch immer besser, wenn wir miteinander reden, gerade auch über Dinge wie Geld. Das war ein schöner Nebeneffekt der Bieterrunden: Gerade über so was in Austausch zu kommen, das tut gut.

Michael Würfel

Das könnte Dich auch interessieren...