
Israel – Palästina: Ein Konflikt, der nicht am 7. Oktober 2023 begann
Autorenlesung und Diskussion „Über den Dächern von Jerusalem“ im Ökodorf
Was sind die Wurzeln des gewaltvollen Konfliktes zwischen Israel und Palästina? Dieser Frage ging eine Veranstaltung im Ökodorf Sieben Linden am 23. März mit Anja Reumschüssel nach. Die Journalistin und Autorin lebte selbst ein Jahr in Jerusalem und im Westjordanland und reiste danach mehrfach in die Region. Daher ist ihr neuer preisgekrönter Roman „Über den Dächern von Jerusalem“ im Carlsen-Verlag sehr authentisch. Er thematisiert den Nahostkonflikt und die Vorgeschichte aus vier unterschiedlichen Perspektiven, und die palästinensische und die israelische Sichtweise stehen dabei nebeneinander. Nach der Präsentation standen viele Fragen im Raum und die Zuhörer:innen aus Sieben Linden und der Region kamen mit Anja Reumschüssel und miteinander ins Gespräch.
Die Szenen sind aus dem Leben gegriffen
Es ist mehr als eine „Lesung“: In dem Buch ist vieles enthalten, was Anja selbst erlebt hat: Die Demonstrationen gegen die Mauer, die Steine werfenden Jugendlichen, eine Party gemeinsam mit jungen Israelis und Palästinenser:innen. Sie zeigt im Wechsel Fotos ihrer Reisen nach Israel/ Palästina, erzählt die zugehörigen authentischen Erlebnisse und liest dann den Abschnitt im Roman, der sich daraus entwickelt hat. Die Romanfiguren haben Bezüge zu realen Personen, die Anja kennengelernt hat.
Tieferes Verstehen der betroffenen Menschen
So webt Anja einen dichten Teppich, der uns die Menschen und ihre Schicksale nah bringt. Der Aufbau des Romans zeigt deutlich: Es existieren – wie in jedem Konflikt – verschiedene Wahrheiten nebeneinander, je nachdem, mit wem man spricht. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß. Die Israelis UND die Palästinenser:innen leiden unter der Situation. Es sind die menschlichen Züge der Protagonist:innen, die uns ins Verstehen und die Empathie führen.
Israel – Palästina: Die Vorgeschichte im Blick
Die Autorin hat Gespräche mit Konfliktbeteiligten auf beiden Seiten geführt. Darüber hinaus hat sie historische Fakten in die Romanhandlung eingebettet. Und diese führen uns zurück zur Notlage der heimatlosen europäischen Jud:innen nach dem Holocaust, hin zur Gründung des Staates Israel 1948. Hundertausende Palästinenser:innen wurden damals gewaltsam aus ihren Häusern und von ihrem Land vertrieben. Die folgenden Entwicklungen bis heute sind von dieser konflikthaften Gründung geprägt, nie kam es zu einem befriedigenden Ausgleich zwischen den beiden Völkern und ihren Territorien.
Hintergründe, die nicht in jeder Zeitung stehen
Nach Anjas Schlussworten ist zunächst Stille im Raum. Alle scheinen von der Komplexität des Konfliktes ein wenig überrollt und eine Ratlosigkeit macht sich breit.
Die Fragen an die Autorin, die dann folgen, spiegeln den Bedarf, die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland besser einschätzen zu können. Wie sieht der Alltag der Menschen in Stadt und Land aus? Wie streng sind die Kontrollen an den israelischen Checkpoints? Und worin bestehen die alltägliche Repressionen gegen die palästinensische Bevölkerung? Warum kann ein Palästinenser aus der West Bank kaum darauf hoffen, jemals zum 40 km entfernten Mittelmeer zu fahren? Und wie ist es in Gaza? „In Gaza ist im Grunde alles heftiger als in Westjordanland“ sagt Anja Reumschüssel, die in das streng abgeriegelte Gebiet selbst nie einreisen konnte.
Die Zuhörenden scheinen im Gespräch eher an der Situation der Palästinenser:innen interessiert zu sein. Ein Gast bringt es so auf den Punkt: „Ich bin ja hierher gekommen, um auch Aspekte zu erfahren, die mir in den Medien recht wenig vermittelt werden.“ Auch bringen einige Zuhörer:innen Reiseerfahrungen ein, die ein plastisches Bild vom Leben der Menschen im Konfliktgebiet zeichnen.
Konflikt Israel – Palästina: Die Deutsche Rolle
Kann die internationale Staatengemeinschaft den Konflikt beeinflussen oder beenden? Wo würden diplomatische Möglichkeiten für eine Befriedung liegen? Woher kommen die Waffenlieferungen für die Hamas und an Israel? Diese Fragen können nicht in Gänze erörtert werden. Dass Deutschland weiterhin Waffen an Israel liefert, dass Deutschland in der UN Palästina immer noch nicht als Staat anerkannt hat und dass die Bundesregierung einer Staatsräson der Israel-Solidarität folgt, ist allgemein bekannt. Eine Zuhörerin macht sich dafür stark, auch in Deutschland Kritik am Staat Israel äußern zu dürfen, ohne den Vorwurf des Antisemitismus zu kassieren.
Ausblick: Kann das alles noch gut enden?
„Kann das alles noch gut enden?“ fragt jemand. Anjas Antwort bleibt vage. „Ich will Hoffnung haben“ sagt sie – und die Formulierung ist bewusst gewählt. Es ist ein Wollen, dass den Blick auf die Chancen und nicht auf das aktuelle Kriegsgeschehen lenkt. Sie nennt einige Initiativen (unten im Artikel), die für Begegnungen und Versöhnung zwischen den palästinensischen und iraelischen Menschen arbeiten. Und natürlich sind die Lesungen „Über den Dächern von Jerusalem“ an Schulen und anderen Orten auch Bausteine für ein erweitertes Verständnis des Konfliktes Israel – Palästina, mit dem wir vielleicht unsere deutsche Außenpolitik anders reflektieren können.
Gaza: Save The Children
Wo stehen wir jetzt? Wir haben viel gelernt über die Vorgeschichte. Der 7. Oktober 2023, bei dem die Hamas über 1000 Israelis tötete, ist dabei ein besonders gewaltvolles Ereignis, auf das die israelische Regierung mit einem Rachefeldzug (über 50.000 Tote) in Gaza reagiert hat. Auch 17.000 Kinder sind in Gaza von der israelischen Armee (unter anderem mit deutschen Waffen) getötet worden seit 2023. Zehntausende erlitten Verletzungen, und 2500 schwerverletzte Kinder sind akut behandlungsbedürftig. 1000 überlebende Kinder müssen mit Amputationen weiterleben, sodass sie dringend Reha-Maßnahmen benötigen. Außerdem der Hunger, Wassermangel … und nun wieder Bombardements. Etwas Kleines beitragen ist besser als mit einem Ohnmachts-Gefühl nach Hause zu gehen: Freiwillige Spenden der Teilnehmenden wurden gesammelt für die Gaza-Nothilfe der NGO Save the children.
Hinweise auf Friedensprojekte:
Parents circle: https://www.theparentscircle.org/en/homepage-en/ Zusammenschluss von palästinensischen und isralischen Familien, die Angehörige in dem Konflikt verloren haben. Sie machen nun Versöhnungsarbeit und sind gegen den Krieg.
Neve Shalom/Wahat al Salam: https://staging.nswas.net/-de- Ein palästinensich-jüdisches Friedensdorf in Israel, das eine Friedensschule aufgebaut hat.
Combatants for Peace: https://www.cfpeace.org/ Basisbewegung von Israelis und Palästinenser:innen (teilweise ehemalige Militärs), die für Frieden, Gleichheit und Freiheit arbeiten.
Zum Buch „Über den Dächern von Jerusalem“ (Carlsen-Verlag): https://www.carlsen.de/hardcover/uber-den-dachern-von-jerusalem/978-3-551-58514-1
Die Veranstaltung wurde gefördert durch ENGAGEMENT GLOBAL mit Mitteln des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Brot für die Welt, Katholischer Fonds und der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland.
Viele Menschen in Sieben Linden unterstützen diese Petiton für einen gerechten Frieden in Gaza. Einige Rahmenbedingungen haben sich geändert, aber Waffenlieferungen aus Deutschland finden aktuell weiterhin statt: https://siebenlinden.org/de/wir-unterstuetzen-eine-petition-an-die-bundesregierung-fuer-einen-gerechten-frieden-in-gaza/
Autorin: Simone Britsch