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Tag der Demokratie 15. 9. – Gemeinwohl-Ökonomie als Chance

Es geht um die brennende und aktuelle Frage, wie eine lebendige Demokratie entwickelt werden kann, als sich am 15. September vier Diskussionsteilnehmer:innen und 60 Gäste im Ökodorf Sieben Linden zum einem Podiumsgespräch einfinden. Wie könnte statt Rechtsruck und Misstrauen in Politik wieder Selbstwirksamkeit in der Demokratie lebendig werden? Könnte die Gemeinwohl-Ökonomie eine echte Bürgerbeteiligung und mehr direkte Demokratie mit initiieren? Es kommen daher an diesem Vormittag mehrere ermutigende Beispiele aus den Bereichen Kommunalpolitik und Unternehmen zur Sprache. Simone Britsch resümiert: „Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine nachhaltige und partizipative Form der Politik, die die Menschen ernst nimmt und einbindet. Genau das braucht es in dieser schwierigen Zeit.“

Hier gehts zur kompletten Podiumsdiskussion
Hier gehts zur Performance von Christian Felber und Lorena Castro.

Das partizipatorische Prinzip in der Gemeinwohl-Ökonomie

Der Beginn der Veranstaltung ist ebenso kreativ wie unerwartet: Eine akrobatische Performance von Lorena Castro und Christian Felber stellt die Prinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie auf der Bühne dar: Begrenztes Wachstum, Wirtschaften in Kreisläufen und Kooperation. Die eingeladenen Expert:innen Christian Felber, Grit Hallal, Gabriele Bayer und Roland Budz kommen aus dem Umfeld der Gemeinwohl-Ökonomie, denn dieser Wirtschafts-Ansatz beinhaltet als Alternative zum Kapitalismus starke partizipatorische Prinzipien. Das Mitwirken von Mitarbeitenden in Betrieben, von Mitgliedern in Vereinen, von Bürger:innen in Kommunen ist unerlässlich. Denn es soll künftig wieder um das Wohl der Allgemeinheit, der Natur und unserer Enkel:innen gehen – und dafür braucht es uns alle.

Christian Felber konnte mit seiner Vision von einer neuen Wirtschaftsweise eine Bewegung anstoßen

Christian Felber, Politikwissenschaftler, Sozialwissenschaftler und Autor aus Wien hat die Gemeinwohl-Ökonomie vor 14 Jahren initiiert. Er wollte damit eine Transformation der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit und Abbau der sozialen Ungleichheiten anstoßen. „Heute ist ein großes internationales Netzwerk daraus entstanden, das sich ständig erweitert. In Regionalgruppen, Firmen, Kommunen, sowie an Hochschule und anderen Bildungseinrichtungen sind über 5000 Menschen aktiv. Mehr als 1300 Gemeinwohl-Zertifizierungsverfahren konnten bereits abgeschlossen werden. Bekannte Beispiele sind die Firma Voelkel, Vaude und Sonnentor.“ Christian Felber betont, dass seiner Ansicht nach die meisten Menschen eine Veränderung der Wirtschaftsweise wünschen, weil sie merken, dass ungebremster Kapitalismus nur wenigen nützt und gleichzeitig die Natur ausbeutet. Es braucht daher neue demokratische Wege, um diese Bürger:innen-Meinung in der Politik zur Umsetzung zu bringen. Er selbst ist ein Befürworter von Elementen der direkten Demokratie wie Volksabstimmungen und Bürgerentscheide.

Eine Gemeinde in Bayern auf dem Weg zur enkeltauglichen Kommune

Aus Postbauer-Heng, einer Gemeinde in Bayern, bringt Gabriele Bayer als Dritte Bürgermeisterin Beispiele aus einer gemeinwohlorientierten Kommune mit. Sie berichtet über Prozesse mit starker Beteiligung aller kommunalen Akteur:innen. Somit stellt man das Gemeinwohl der Bürger:innen wieder in den Mittelpunkt. Bayer betont auch die Notwendigkeit einer guten, wertschätzenden Kommunikation, wenn man solche Transformationen in einer Gemeinde ins Rollen bringen will.

Die Innovationen in Postbauer-Heng werden sichtbar in einer Verkehrsplanung mit Schwerpunkt auf den ÖPNV, sowie in einem verpflichtenden Bio-Anteil in der Verpflegung in Kindergärten und Schulen, und auch in den Beschaffungskriterien. „Die Leitfrage der Beschaffungsrichtlinie der Gemeinde Postbauer-Heng lautet nun: Dient unser Einkauf, die Vergabe der Aufträge usw. der Umwelt, den Menschen und ist es sie zukunftsfähig?“, so die Dritte Bürgermeisterin. Im Anschluss an die Podiumsdiskussion führt Gabriele Bayer in einem gut besuchten Workshop näher aus, wie auch Bürgerbeteiligungsverfahren nun einen besonderen Stellenwert in Postbauer-Heng erhalten.

Gemeinwohlorientierte Betriebe kennen keinen Fachkräftemangel

Als gebürtige Potsdamerin ermuntert Grit Hallal vom Podium aus die Zuhörenden, sich gesellschaftlich für ein anderes Wirtschaftssystem und die Erneuerung der Demokratie einzusetzen. Sie erinnert als Zeitzeugin der Wende und ehemals aktive Demonstrantin daran, dass Bürger:innen eine Macht haben. Mit dem jetzigen Wirtschaftssystem und seinen Ungleichheiten ist Grit Hallal nicht zufrieden. Art. I und II des Grundgesetzes – die Menschenwürde ist unantastbar – seien während der Arbeit bis heute nicht garantiert. Als Unternehmerin hat sie in Selbstverwaltung mit Bürger:innen einen Gemeinwohl-Bioladen als Test- und Trainingscenter betrieben. Sie berät Unternehmen und Kolleg:innen, die sich für alternatives Wirtschaften und für „New Work“ interessieren.

Aus ihrer Erfahrung berichtet Grit Hallal: „Wer sich als Betrieb auf den Weg der Gemeinwohl-Ökonomie macht, muss keinen Fachkräftemangel fürchten. Denn die Leute suchen nach attraktiven Arbeitsplätzen, wo sie Sinn in ihrer Tätigkeit finden und mitbestimmen können.“ Vor allem im Zusammenspiel mit gemeinwohlorientierten Kommunen, Städten und Unternehmen sieht die studierte Ökonomin gute Chancen dafür, dass mit der Gemeinwohl-Ökonomie Abwanderungstrends, zum Beispiel aus der Altmark, umgekehrt werden können.

Das Ökodorf Sieben Linden ist im Gemeinwohl-Ökonomie-Zertifizierungsprozess

Roland Budz ist Doktorand im Bereich Wirtschaftsdemokratie und untersucht im diesem Kontext auch die Gemeinwohl-Ökonomie. Aus seiner Sicht ist dieser Ansatz in der Lage, die Wirtschaft auf gesunde, nachhaltige Füße zu stellen. So sei eine ethische Marktwirtschaft ein langfristiges Ziel. Hoffnung setzt Budz auch in die Gewerkschaften, wo er lange tätig war. Wenn diese sich noch mehr mit der Gemeinwohl-Ökonomie identifizieren würden, könnte hier ein großes kooperatives Potential für einen Wandel der Wirtschaft liegen.

Ihn haben die Theorie sowie die Praxis-Beispiele überzeugt, sich zum Gemeinwohl-Ökonomie-Berater ausbilden zu lassen. Seine erste Gemeinwohl-Unternehmenszertifizierung im Rahmen der Qualifikation zum GWÖ-Berater führt er am Beispiel einer Organisation innerhalb des Ökodorfes Sieben Linden durch. Denn das Ökodorf durchleuchtet derzeit seinen Bildungsbetrieb mit Tagungshaus nach den Kriterien der Gemeinwohl-Ökonomie und hofft, Ende des Jahres das entsprechende Zertifikat zu erhalten. Am heutigen Tage wünscht sich das Ökodorf daher noch ein wenig Rückenwind, um die recht aufwändigen und arbeitsintensiven Arbeiten, die im Rahmen des Audits verlangt werden, in den kommenden Wochen abzuschließen.

Liebeslied für die Demokratie am Tag der Demokratie

Die Moderatorin Simone Britsch aus Sieben Linden schließt die Veranstaltung mit einem musikalischen Audio-Beitrag, der gut zum heutigen „Internationalen Tag der Demokratie“ passt. Diesen Tag hat die Generalversammlung der UN bereits im Jahr 2007 für den 15. September ausgerufen. Aber Simone Britsch macht darauf aufmerksam, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Sie meint, dass die Demokratie auch hierzulande erneuert werden muss, wenn wir das Ruder nicht an rechtsextreme Parteien abgeben wollen. Das „Liebeslied an die Demokratie“ hat der Ökodorf-Mitbegründer Dieter Halbach komponiert. Er lebt mittlerweile in Brandenburg und wird dort aus aktuellem Anlass vor den dortigen Landtagswahlen aktiv. Es ist ein nachdenklicher Ausklang: „Wir sind die Erben der Freiheit, wir sind die Verschiedenen … . Du bist einzigartig und du bist frei geboren, deine Würde ist unantastbar, sei ein Mensch – mitten im Wahnsinn.“

Kontakt zur Gemeinwohl-Ökonomie Regionalgruppe Altmark-West – wir suchen noch Mitmacher:innen: altmark-west@econgood.org

Mehr zur Gemeinwohl-Ökonomie: https://germany.econgood.org/

Christian Felber: https://christian-felber.at

Interview mit Christian Felber zur Gemeinwohl-Ökonomie: https://siebenlinden.org/de/folge-55-mit-gemeinwohl-oekonomie-raus-aus-der-wirtschafts-krise/

Kommune Postbauer-Heng: https://www.postbauer-heng.de/rathaus-service-zukunft/willkommen-im-markt/gemeinwohl-gemeinde/#accordion-1-2

Faire Beschaffung mit Augenmaß in Postbauer-Heng: https://skew.engagement-global.de/im-fokus-detail/florian-beyer-im-interview.html

Grit Hallal: https://www.grit-hallal.de/

Interview mit Roland Budz zur GWÖ: https://siebenlinden.org/de/folge-96-money-money-oekonomie-fuer-das-gemeinwohl/

Liebeslied für die Demokratie auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=6DKOz4IgZC0

Simone Britsch

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