„Trauern und Einander begleiten“ lernen in Sieben Linden?

Ein lebendiger Umgang mit dem Tod und anderen Verlusterfahrungen ist auch ein wichtiger Aspekt einer Kultur, die wir hier in Sieben Linden weiter entwickeln. Wir gestalten in den besonderen Zeiten um Sterben und Tod herum…  
…unsere Fürsorge und Abschiede sowohl gemeinschaftlich als auch individuell. Und wir erleben hier vielerlei Trauerprozesse, die sich in verschiedener Weise auf unser Gemeinschaftsleben auswirken.Wenn gewünscht und möglich, bilden wir Kreise um Menschen herum, die sich in Krisenzeiten befinden, bzw. die viel Unterstützung und Fürsorge brauchen.

In 2023 findet in Sieben Linden ein Lehrgang zu „Trauerprozessen und Trauerbegleitung“ zum ersten Mal statt (nach vielen Jahren in anderen Regionen).

Wie können wir Trauern als Lebensprozess besser verstehen und annehmen? Wie können wir aus unserem Menschheits-Wissen heraus eine lebendige Abschieds- und Trauerkultur gestalten? 

„Nie erfahren wir unser Leben stärker als in großer Liebe und in großer Trauer.“ R.M. Rilke
Trauernverstehe ich als natürlichen und not-wendigen Lern- und Heilungsprozessbei Verlusterfahrungen und Umbrüchen, bei Erkrankungen, Trennungen, in Sterbezeiten…, der nicht linear, sondern eher „labyrinthisch“ verläuft.Wenn wir das Trauern mit seinen Gefühlen und Stimmungen (durch-)leben statt es zu „bewältigen“, nehmen wir eine Haltung ein, die die Wahrheit des Lebens mit seinen Verlusterfahrungen anerkennt. Dies macht eine tiefe Verbundenheit mit dem Mysterium des Lebens und Sterbens möglich. Und je mehr wir uns um ureigene Belange selbstverantwortlich kümmern, desto mehr sind wir den schmerzhaften Veränderungen gewachsen, und bleiben/werden seelisch gesünder. 
Dazu gehört auch das Zusammensein mit sterbenden und verstorbenen Menschen. Die Verbundenheit ist mir ebensowichtig wie das Verabschieden, und das bedeutet auch: die Beziehungen zu unseren verstorbenen Menschen können sich weiter entwickeln. 
In Sieben Linden gibt es besondere Plätze wie z.B. den sogenannten „Ahn*innenplatz“, zu dem etliche Menschen hier – auch Gäste – einen (unterschiedlichen) Bezug haben. Dies ist ein schöner schlichter Platz unter Bäumen, um sich innerlich zu sammeln, um sich mit unseren verstorbenen Lieben und unseren Vorfahren zu verbinden, um verschiedene Rituale zu feiern – auch zum Beispiel fürLebensübergänge aller Art. Einfach geschmückte Gedenkplätze für verstorbene Menschen finden sich im Speiseraum auf der Fensterbank und auf einem Erinnerungstisch bei unseren Gemeinschafts-Intensivzeiten (auch Platz für die weggezogenen Menschen). Denn alle haben unser Gemeinschaftsleben in ihrer ganz eigenen Weise mitgeprägt.

In Trauerzeiten leben wir mehr als sonst „nach innen“. Wenn wir Verlusterfahrungen bewusst begegnen, kann dies unser Leben nachhaltig verändern und zur Heilung beitragen. Wir können diese Eigenmacht an unsere Kinder weitergeben. Es ist wie im Märchen von Frau Holle: wenn wir uns ein Herz fassen und das tun, was in Zeiten der Veränderung anliegt, statt es wegzuschieben, können wir „reich belohnt“ werden. Es nimmt nicht den Schmerz weg, aber stellt ihm zur Seite: Zugang zu unserer Lebendigkeit, Verbundenheit, Dankbarkeit, Heilungskraft, vielleicht Demut vor der Größe des Geschehens… Wenn wir auch Dinge selbst tun, die schmerzhaft sind, können wir daraus große Kraft gewinnen.

Symbolische Handlungen und lebendige Rituale – darin kommen wir mit uraltem Menschheitswissen in Berührung, mit Prinzipien, nach denen Menschen aller Kulturen und Zeiten ihrem eigenen (inneren) Erleben und ihrem Zusammenleben, auch als Teil eines größeren Ganzen, Gestalt gegeben haben.Das haben wir in Sieben Linden immer wieder erlebt – besonders auch in der kostbaren Zeit vom Tod bis zur Bestattung. Wir gestalteten Aufbahrungszeiten und Abschiedsrituale mit den verstorbenen Menschen – im Sterbezimmer, auf der Wiese, oder an anderen stimmigen Plätzen. Wir begleiteten den Sarg zum Bestattungswagen oder mit einer Pferdekutsche bis zum Friedhof. Wir hielten selbstbestimmte und vielfältigeTrauerfeiern auf dem Friedhof… So können in einer schmerzhaften Situation ein Wohlbefinden sowie tragende Erinnerungen entstehen, die auf unser Leben und auf unser Sozialsystem heilsam wirken. Und wenn wir hier Kinder und Jugendliche teilhaben lassen auch am Geschehen um Sterben und Tod, wachsen sie in einen selbstverständlichen Umgang hinein. Das geschieht auch im intensiven Erleben der Naturprozesse im Jahreslauf (z.B. im Waldkindergarten). Denn Kinder haben eine natürliche Begabung und Neugierde sowie ein elementares Recht, sich mit allen Wahrheiten des Lebens zu befassen, auch mit den schmerzhaften. Dabeisein und Mitmachen bilden wesentliche Grundlagen für ihr Vertrauen und Lebens-Lernen, und für ihre Heilungsprozesse.

Wichtig sind auch Zeiten des Abschiednehmens von Menschen, die hier gelebt haben und Sieben Linden wieder verlassen. Da haben wir sehr unterschiedliche Formen – rein individuelles Abschiednehmen und bis hin zu Abschiedskreisen oder ausführlicheren gemeinschaftlichen Ritualen – je nach den Bedürfnissen.
Trauerbegleitung bedeutet, eine Kultur der echten menschlichen Begegnung zu pflegen.
Zu üben, uns zuzumuten und einander auszuhalten auch mit dem Schweren, dem Unabänderlichen, dem Unverständlichen, und dem Schmerz. Unser Mitgefühl zuzulassen – auch wenn wir vielleicht Angst davor haben, dass uns Ähnliches geschehen könnte. 
„Der Weg wird nicht leichter, weil Du ihn mit mir gehst. Aber es ist leichter, ihn zu gehen, weil Du ihn mit mir gehst.“ Tanja Zeiser

Für Interessierte: Der nächste Lehrgang „Trauerprozesse und Trauerbegleitung Persönliche Kompetenz“ beginnt Ende Januar 2023, und der Einstieg zum 2. Seminar im März ist auch noch möglich. Er ist auch Modul der Gr. Basisqualifizierung Trauerbegleitung / Bundesverband TrauerbegleitungBVT e.V..

Weitere Infos und vielfältige Texte zu diesen Lebensthemen findest Du hier: https://www.trauer-wege-leben.de/ und hier https://leben-sterben-feiern.de/
 
Petra Hugo: Ich arbeite seit 1990 mit Menschen und Organisationen in verschiedenen Regionen, die sich mit Trauern und Begleiten, mit Erkrankungen, Sterben und Bestattungskultur, und mit Ritualgestaltung befassen. 

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