Illustration zweier Szenarien

Krisenvorsorge in Sieben Linden

Wie denken, fühlen und handeln Menschen in Zeiten der Polykrise? 

Diese Frage treibt Noah Boroske um: Wie denken, fühlen und handeln Menschen in Zeiten der Polykrise? Er befragte in einer Interviewreihe zehn Bewohner:innen des Ökodorfs zu ihrer Wahrnehmung und Vorbereitung auf mögliche gesellschaftliche Krisen, bis hin zu einem drohenden Zivilisationskollaps infolge einer unzureichenden sozial-ökologischen Transformation. Hier die Ergebnisse und Ausblicke.

Für mich ist nicht mehr die Frage, ob unsere Zivilisation in den nächsten Jahrzehnten kollabieren wird, sondern wie sich darin ein erlebenswertes Miteinander gestalten lässt: 
„Ein globaler Zivilisationskollaps wird durch einen derart starken Rückgang globaler Grundversorgung sowie Gesellschaftsordnung gekennzeichnet sein, dass die Mehrheit der Weltbevölkerung zu radikalem Umdenken und radikalen Verhaltensänderungen gezwungen sein wird. Die Phase wird sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken und zu tiefgreifenden sowie chaotischen Veränderungen in nahezu allen Lebensbereichen führen.“ 

Zehn Menschen aus dem Ökodorf interviewt

Meine Interviews mit zehn Ökodorf-Bewohner:innen fokussierten sich auf vier zentrale Aspekte: Persönliche Motivationen, Zukunftsszenarien, Handlungsoptionen sowie Perspektiven für die Gemeinschaft Sieben Linden. Das übergeordnete Ziel ist, das „Kollaps-Bewusstsein“ der Gemeinschaft zu ergründen. Es geht also um die Frage, ob existenzielle Krisen als wahrscheinlich angenommen werden und welche konkreten Maßnahmen zur aktiven, solidarischen Krisenvorsorge bereits getroffen oder angestrebt werden.

Zwischen Bewusstsein und Unschärfe: Persönliche Treiber

Viele Interviewte konnten eine klare intrinsische Motivation benennen: Die Liebe zur Natur, der Wunsch nach Gemeinwohl, das Bedürfnis nach Gerechtigkeit oder die Verantwortung gegenüber künftigen Generationen. Dennoch fiel es einigen schwer, ihre Beweggründe präzise zu formulieren. Deutlich wurde aber, dass viele Handlungen durch ein tiefes Gefühl von Verantwortung und Sorge um das Leben auf der Erde motiviert sind – sei es durch persönliche Transformation, Bildungsarbeit oder politisches Engagement.

Zukunft im Nebel – aber mit Aussicht

Die Vorstellungen über zukünftige Entwicklungen variierten stark: Einige verweigerten sich einer konkreten Zukunftsvision – zu unsicher, zu komplex. Andere jedoch entwarfen drastische Szenarien: Einen globalen Kollaps, zunehmende Migration, Zusammenbruch der Versorgungssysteme, politische Instabilität. Trotz aller Unterschiede war ein verbindendes Element erkennbar: das wachsende Bewusstsein für die Notwendigkeit, jetzt aktiv zu werden – sowohl individuell als auch gemeinschaftlich.

Handeln – gemeinschaftlich und (noch) zu oft allein

Nahezu alle Interviewten sind in Bereichen aktiv, die zur gemeinschaftlichen Resilienz beitragen – vom Aufbau autarker Versorgung über Bildungsinitiativen bis hin zur Mitwirkung in regionalen Netzwerken. Was laut ihnen noch lückenhaft sei, sind Maßnahmen, die die Themen Resilienz sowie Krisenbewusstsein für alle Gemeinschaftsmitglieder präsent machen und in den Fokus rücken. Die Idee einer solidarischen, gemeinschaftlich getragenen Krisenvorsorge dürfte in Sieben Linden schon länger auf fruchtbaren Boden fallen – es fehlt jedoch noch an konkreten Plänen, wie im Krisenfall dann wirklich vorgegangen wird

Perspektiven: Sieben Linden als resiliente Keimzelle?

Sieben Linden hat in vielen Bereichen resiliente Strukturen aufgebaut: Durch die Selbstversorgung mit Obst, Gemüse und Kartoffeln, ein Strohballen-Gemüse-Lager, das Heizen mit Holz aus dem eigenen Wald, eine eigene Wasserversorgung, aber auch die kontinuierliche Arbeit am Zusammenhalt der Gemeinschaft in Krisenzeiten. Weitere Maßnahmen für eine größere Versorgungssicherheit mit Elektrizität oder auch Gemüse sind geplant. Und trotzdem wird aus den Gesprächen deutlich: Die meisten Interviewten spüren die Dringlichkeit, sich auf tiefgreifende Veränderungen vorzubereiten.  Auf einer Dringlichkeitsskala (0 = niedrig | 10 = hoch) vergaben die meisten Interviewten Werte zwischen 7 und 10. Sieben Linden hat als Gemeinschaft das Potenzial, zu einem Modellort für gelebte Resilienz zu werden. Dazu braucht es aber noch mehr gemeinsam getragene Projekte, mehr Vernetzung mit der Region – und wahrscheinlich auch mehr Mut, über mögliche Krisenszenarien offen zu sprechen.

Resilienz-Projekt GEN (Global Ecovillage Network)

Eine Möglichkeit: Die verstärkte Beteiligung am internationalen Resilienz-Projekt, des Netzwerkes GEN. Es geht in diesem Vorhaben um die Schaffung regenerativer, widerstandsfähiger Lebensweisen durch vernetzte, lernende Gemeinschaften weltweit – ein Schritt, der auch für Sieben Linden zukunftsweisend sein könnte. 
Keystone Communities – sustaining life through polycrisis – Global Ecovillage Network

Fazit: Der Anfang ist gemacht, jetzt braucht es Gemeinschaft

Das Interviewprojekt zeigt: Das Bewusstsein für Krisen ist vorhanden. Viele Grundlagen wurden bereits gemeinschaftlich gelegt. Viele Einzelne handeln bereits mit großem Engagement. Was jetzt gebraucht wird, ist ein gemeinschaftlicher Resonanzraum, in dem alle Initiativen gebündelt, weiterentwickelt und strukturell verankert werden. Die Zeit, sich gemeinsam auf die Herausforderungen der kommenden Jahre vorzubereiten, ist jetzt.
Impulse für die Gemeinschaft Sieben Linden:

  • Offene Diskussionsabende zu möglichen Zukunftsszenarien
  • Aufbau gemeinsamer Resilienzprojekte (z.B. Krisen-Backup-Strukturen)
  • (Mehr) aktive Beteiligung an überregionalen Netzwerken wie GEN
  • Stärkere Beteiligung an lokal vernetzen Resilienz-Projekten in der Region Altmark
  • Förderung gemeinschaftlicher Bildung und Kompetenzvermittlung

Denn wie eine:r der Interviewten sagte: „Der Versuch zählt, nicht nur das Ergebnis.“ Lassen wir uns also gemeinsam auf den Weg machen.

Last but noch least: myself, Noah


Warum treibt mich diese Fragestellung eigentlich so um? Wer bin ich und was suche ich? Wie sehe ich meinen eigenen Beitrag für eine resilientere Zukunft?
Ich bin Noah (er), Jahrgang 1996, komme aus einem kleinen Dorf namens Eickenrode (Edemissen/Peine/Hannover/NDS) und bin einschließlich meines Elektrotechnik-Studiums (beruflich als auch privat) als Ingenieur aktiv. Darüber hinaus habe ich einen Mensch-tragenden Oktokopter konstruiert („OMO“), produziere hin & wieder elektronische Musik & betreibe Kampfsport (Leicht- bis Vollkontakt).
Zwischen 2018 und 2019 habe ich mich für die sozial-ökologischen Krisen sensibilisiert, bis ich mit 2019 bei XR in Braunschweig aktiv wurde. Mittlerweile unterstütze ich die Klimagerechtigkeitsbewegungen nur noch bei größeren/lokalen Aktionen, bei logistischen Vorgängen der LG Braunschweig sowie meinen noch offenen gerichtlichen Prozessen. Kollaps-bewusst, auf eine wirksame Art & Weise, bin ich seit etwa Sommer 2022 und konnte mich seit April 2023 beim Klima-Kollaps-Café einklinken.
Ich habe mich weitestgehend von der Hoffnung verabschiedet, dass es eine hauptsächlich friedliche bzw. proaktive sozial-ökologische Transformation auf gesamtgesellschaftlicher Ebene geben wird. Daher bemühe ich mich seit Frühling 2023 mit ein paar weiteren Menschen um die Erörterung bzw. Entwicklung (einer Variante) einer langzeitstabilen Gemeinschaft, die als ein Baustein der nächsten Gesellschaftsgeneration (post-collapse) dienen kann & zumindest einigen Menschen eine erlebenswerte Zukunft ermöglicht (Stichwort: Rettungsboot). Ich hoffe weitere engagierte Menschen für dieses Vorhaben zu finden.
Über meinen Bundesfreiwilligendienst, den ich seit September 2024 in Sieben Linden leisten darf, habe ich die Möglichkeit eines der fortgeschrittensten Ökodörfer samt seiner Bewohner:innen nicht nur kennenzulernen, sondern in seinen detaillierten Wesenszügen zu begreifen.“

Ein herzlicher Dank gilt allen Gesprächspartner:innen für ihre Offenheit und ihren wertvollen Beitrag zu diesem wichtigen Diskurs.

Noah Boroske

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