
Pablo Miró vermittelt jüdischen Zeitzeugen-Bericht seiner Urgroßmutter aus der Nazizeit
Erinnerungen, die verbinden: Ein Nachmittag im Ökodorf mit Geschichte und Musik
Am vergangenen Freitag verwandelte sich unser Seminarraum in einen Ort der Erinnerung und der Begegnung. Zahlreiche Besucherinnen und Besucher waren gekommen, um der musikalischen Lesung von Pablo Miró Behrend beizuwohnen. Er ist der Urenkel von Else Behrend-Rosenfeld, die mit ihrem Buch „Ich stand nicht allein“ ein eindrucksvolles Zeugnis jüdischer Erfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus hinterlassen hat.
Die Kraft der Familiengeschichte
Pablo Miró, bekannt als Musiker, Liedermacher und politisch engagierter Künstler, führte die Zuhörenden nicht nur durch die bewegenden Passagen des Buches, sondern teilte auch sehr persönliche Einblicke in das Leben seiner Urgroßmutter. In „Ich stand nicht allein“ schildert die Autorin eindrücklich ihre Erlebnisse als Jüdin im nationalsozialistischen Deutschland – von Angst und Verfolgung, aber auch von Hoffnung und der Solidarität, die sie in dunklen Zeiten erfahren durfte.
„Obwohl ich die Menschen, die mir nahestanden, schmerzlichst vermisse, lebe ich mein Leben doch ganz in der Gegenwart.“ Mit lebhafter Stimme und schauspielerischem Ausdruck trägt der Urenkel die Worte seiner Urgroßmutter vor. Eingeschlossen im faschistischen Deutschland baut sie zu ihrem Mann und den Kindern, denen die Ausreise kurz vor Beginn des 2. Weltkrieges in letzter Sekunde gelungen war, mithilfe ihres Tagebuchs eine innere Brücke.
Ein Zeugnis wahrer Stärke
Dieses Buch offenbart weit mehr als die detailgetreue und differenzierte Schilderung des Rassismus, der nach und nach in die Gesellschaft einsickert und ihre hässlichsten Seiten hervorbringt. Es wirft auch ein Licht auf diejenigen, die wie der Bürgermeister vor Scham „schwitzend“ unheilvolle Befehle der Nazis an Juden überbringen. Und auf solche, die den Judenstern in den Tagen nach seiner Einführung wie eine besondere Auszeichnung ansehen und den Diffamierten ihren besonderen Respekt erweisen.
Das Tagebuch erzählt auch von jenen Menschen, die sich nicht vom Sog der Hetze und des Hasses vereinnahmen ließen, sondern durch ihre nicht ungefährliche Unterstützung von Verfolgten dem Moloch ein leuchtendes Beispiel an Integrität und Menschenwürde entgegen gesetzt haben. Doch vor allem portraitiert dieses authentische und persönliche Zeitzeugnis die charakterliche Stärke einer klugen und äußerst mutigen Frau in der Mitte ihres Lebens, die wahre Stärke in den härtesten Prüfungen des Lebens beweist und unter größtem Druck sich selbst und ihren moralischen Werten treu bleibt.
Ein besonderer Schatz sind die tagesaktuellen Beobachtungen, die Else Behrend-Rosenfeld notiert und uns darüber das Gefühl vermittelt, unmittelbar an ihrem Alltag teilzunehmen. Beispielsweise die Beobachtung, dass die Menschen den Nachrichten vom Kriegsbeginn verhalten und ausdruckslos lauschen. „Keine euphorische Freude wie 1914“ bemerkt sie.
Lesung und Musik – eine besondere Verbindung
Die Lesung wurde von musikalischen Einlagen Mirós begleitet, die den Inhalt des Buches in Töne einband. Mit seiner Gitarre und seiner facettenreichen Stimme schuf er eine Atmosphäre, die den Zuhörenden die emotionale Tiefe der Erinnerungen noch näherbrachte. Besonders eindrucksvoll war die Verbindung von Text und Musik, die Miró mit eigenen Kompositionen und Liedern, die von Mut und Zusammenhalt erzählen, herstellte.
Zeitzeugnis und Dialog
Im Anschluss an die Lesung entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch zwischen Pablo Miró und dem Publikum. Viele Gäste nutzten die Gelegenheit, Fragen zu stellen – sowohl zu den historischen Hintergründen als auch zu den Herausforderungen, die das Erinnern und Weitergeben von Familiengeschichten mit sich bringt. Miró betonte, wie wichtig es ihm sei, die Erfahrungen seiner Vorfahren nicht nur zu bewahren, sondern auch für kommende Generationen lebendig zu halten. Er appelliert an die Zivilcourage jedes und jeder einzelnen.
Ein Nachmittag, der nachhallt
Diese Lesung war weit mehr als eine literarische Veranstaltung. Sie war ein eindrucksvolles Plädoyer für das Erinnern, für Zivilcourage und für Menschlichkeit. Die Besucherinnen und Besucher verließen die Veranstaltung nachdenklich, bewegt – und mit dem Gefühl, dass die Geschichten von Else Behrend-Rosenfeld und Pablo Miró auch heute noch viel zu sagen haben. Das Format war eine Premiere, die Pablo Miró aufgrund einer Anregung aus dem Ökodorf konzipiert hatte. Bleibt zu wünschen, dass weitere folgen und er den Schatz seiner Urgroßmutter weiter in unser Land trägt – gerade jetzt und heute in der aktuellen politischen Phase.
Eva-Maria Decker