Wir ringen: Unser politisches Selbstverständnis
Mit dem Erstarken der AfD und der völkischen Siedler:innenbewegung war es einigen von uns sehr wichtig, unser politisches Selbstverständnis gemeinsam zu beschließen und es öffentlich auf unsere Website zu setzen. Ein Statement, in dem wir uns von rassistischen, sexistischen, antisemitischen und homophoben Bestrebungen ganz klar abgrenzen, sollte formuliert werden. Doch so einfach wie gedacht war das dann nicht…
Das Positive und Verbindende betonen!
Ein Credo des Ökodorfs ist, stets auf das Positive und Verbindende zu schauen, und nicht durch Abgrenzung, sondern durch Inspiration und Vorbildfunktion zu wirken. Schnell waren wir uns einig, was unsere positiven Werte sind: „Wir streben eine offene, demokratische, menschenwürdige und friedliche Gesellschaft an, die alle Menschen gleichberechtigt, solidarisch und respektvoll miteinander gestalten. … Uns wichtige Werte sind: Achtung der allgemeinen Menschenrechte, Wertschätzung der Vielfalt der Kulturen und Lebensweisen auf unserem Planeten, … Akzeptanz verschiedener Religionen, spirituellen Wege und Weltanschauungen ….“
Dieser Teil unseres Selbstverständnisses, der die positiven Werte hervorhebt (vollständige aktuellste Fassung siehe hier: https://siebenlinden.org/de/unser-politisches-selbstverstaendnis/) wurde bereits im August einstimmig beschlossen.
Klare Kante zeigen?
Es gab eine kleine, aber engagierte Fraktion, die sich dagegen aussprach, in unserem politschen Selbstverständnis auch „klare Kante zu zeigen“. Uns abzugrenzen, das würde nicht unserer gemeinschaftlichen Grundhaltung entsprechen. Wir teilen ein positives Menschenbild und suchen auch in Konflikten und bei unterschiedlichen Meinungen stets das Verbindende. Wie passt das „klare Kante zeigen“ damit zusammen? Stärken wir damit nicht genau die gleichen Tendenzen von Spaltung und Konflikt, die wir eigentlich überwinden wollen?
Sicher spielte bei den Skeptiker:innen auch eine Rolle, dass mehrere Gemeinschaftsmitglieder die durchaus schmerzhafte Erfahrung gemacht hatten, wie schnell man (beispielsweise durch Kritik an den staatlichen Corona-Maßnahmen) selbst in die „rechte Ecke“ gestellt werden kann – und das auch noch von linkspolitischen Mitstreiter:innen. Es ist halt in einer komplexer werdenden politischen Landschaft nicht mehr so schön einfach wie früher: schwarz-weiß oder rechts-links.
Diese Diskussion bewegte uns in den letzten Monaten. Und – tada! – nach längerem Ringen einigten wir uns auf eine Formulierung, die auch die Menschen mitnahm, die Widerstände gegen eine klare „Ausgrenzung von Menschen“ hatten. Und am 12.12.24 hat unsere Vollversammlung dann aber doch einen Text zum politischen Selbstverständnis (Link zu: https://siebenlinden.org/de/unser-politisches-selbstverstaendnis/) einstimmig beschlossen, der sich einerseits klar positioniert und andererseits trotzdem keine Menschen abstempelt.
Unvereinbarkeiten – ein Wörtchen macht den Unterschied
Neben den positiven Werten gibt es jetzt auch einen Abschnitt zur „Unvereinbarkeit“:
„Weil wir eine offene, demokratische, menschenwürdige und friedliche Gesellschaft anstreben, finden folgende Verhaltens- und Ausdrucksweisen in Sieben Linden keinen Platz:
- Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religion, Weltanschauung, Behinderung, sexueller Identität, Orientierung, ihrem Geschlecht oder Alter zu benachteiligen oder herabzuwürdigen.
- Völkisches, nationalistisches, rassistisches, sexistisches oder anderweitig diskriminierendes Gedankengut zu verbreiten oder entsprechende Gruppierungen zu unterstützen.
- Hetzerische Sprache zu verbreiten.
- Physische oder psychische Gewalt gegenüber anderen auszuüben oder zu verharmlosen.“
(Vollständige Formulierung kann hier eingesehen werden. https://siebenlinden.org/de/unser-politisches-selbstverstaendnis/)
Die Formulierungsänderungen, die zu dem Konsens führten, war zum einen die Tatsache, dass wir keine Menschen ausgrenzen, sondern dass wir klar sagen, welches Verhalten in Sieben Linden nicht toleriert wird. Der zweite Punkt war, dass sich für manche Menschen etwas änderte, indem die zunächst vorgeschlagene Formulierung „haben keinen Platz“ durch „finden keinen Platz“ ersetzt wurde. Das gibt dem ersten Satz, den positiven Werten mehr Gewicht, und aus diesen positiven Werten ist die logische Folge, dass Menschen, die diese Verhaltensweisen zeigen, hier einfach nicht reinpassen. Sie finden keinen Platz, es braucht dazu keine weitere schriftliche Ausgrenzung.
Wir freuen uns, dass wir mit unseren Gesprächen zum Thema und mit diesem Beschluss wieder ein Bausteinchen entwickelt haben, Brücken zwischen der Vielfalt von Weltsichten, die auch in Sieben Linden vorherrschen, zu bauen – und so wieder einen klitzekleinen Beitrag zu einer friedlichen Gesellschaft leisten.
Gut genug für jetzt, weiter geht’s!
Wir drehten schon viele Runden in dieser Sache und haben jetzt einen Konsensvorschlag gefunden, der aber wohl auch noch nicht die klarste und knackigste Formulierung ist, die unsere Realität beschreibt. So haben wir uns selbst den Auftrag gegeben, weiterhin an diesem Papier dran zu bleiben. Bis Sommer 2025 lassen wir es wirken. Dann werden wir wieder drauf schauen und evt. Änderungswünsche miteinander besprechen – oder sogar ganz neu denken.
Das ist „Gemeinschaft“ im politischen Sinne. Es geht viel Zeit im Diskurs drauf, aber wir lernen auch eine Menge voneinander, miteinander und über die Zeit, in der wir leben.
Eva Stützel