Aufhören mit den „Stellvertreterkriegen“
– ein Plädoyer gegen die Retter-Rolle in Konflikten
Ich begleite viele Initiativen und Gemeinschaften in ihren Prozessen – und ein Muster begegnet mir immer wieder, gerade in Projekten mit einer ansonsten eher konstruktiven Konfliktkultur.
Mir wird in meinen Prozessbegleitungen immer wieder bewusst, wie sich Konflikte in Gemeinschaften verhärten können, wenn vormals an einer Auseinandersetzung unbeteiligte Menschen solidarisch Partei ergreifen für die eine oder andere Seite.
Diese Erkenntnis gefiel mir zunächst gar nicht …
Solidarität und Unterstützung von „Schwächeren“ ist auch für mich ein sehr wichtiger Wert! Ich ergreife auch, wenn ich nicht gerade persönlich betroffen bin, gerne Partei für die vermeintlich Schwächeren, um einen Ausgleich zu schaffen gegenüber den vermeintlich stärkeren Konfliktpartner:innen. Doch wie hilfreich ist dieses Verhalten wirklich?
Mit Blick auf viele kontroverse Situationen, die mir in den letzten Jahren begegnet sind, muss ich feststellen: Selten hat solidarisches Parteiergreifen zu einer guten Lösung geführt, häufig hat es Fronten verhärtet.
Insbesondere in Gemeinschaften, in denen sonst eine gewisse konstruktive Konfliktlösungskultur vorherrscht, beobachte ich dieses Phänomen: Während ich als direkt Betroffene noch eher den Anspruch an mich habe, nicht nur egoistisch zu denken, sondern auch die andere Seite zu sehen, und zu prüfen, ob ich mich vielleicht bewegen müsste, sieht die „Retterin“ in mir sich nicht in der Pflicht dazu. Im Gegenteil, sie fühlt sich verpflichtet, genau das nicht zu tun. Denn sie engagiert sich aus dem hehren Motiv heraus, Schwächere zu unterstützen. Mit dieser Motivation erscheint dann jegliche Kompromissbereitschaft, jegliches Anerkennen der eigenen Anteile am Konflikt wie ein Loslassen der Unterstützung oder eine Kritik an jenen Menschen, welche die Retter:in in Schutz nehmen möchte. Damit schwindet die Bereitschaft zur konstruktiven Konfliktlösung, zu der immer gehört, auch den eigenen Anteil anzuerkennen.
Seit ich dieses Muster bei mir entdeckt habe, entdecke ich es auch in vielen Konflikten, die ich begleite. So beobachte ich oft Eskalationen, Verhärtungen und Unversöhnlichkeiten genau in dem Moment, in dem sich Menschen für Andere einsetzen.
Die Erkenntnis, dass Rettungs-Aktivitäten häufig kontraproduktiv sind, widerspricht meinen Werten von Solidarität und dem Einstehen für Schwächere. Soll es wirklich sinnvoller sein, bei Angriffen nicht für die angegriffene Person einzustehen? Wichtig: Es geht nicht darum, die Schwächeren alleine zu lassen!
Wenn Retter:innen aus der einseitigen Parteinahme für das „Opfer“ aussteigen, dann können sie sehr viel konstruktivere Beiträge zur Konfliktlösung bringen. Aussteigen aus der Retter:innenrolle und Einsteigen in die Mediator:innen-Rolle, die allparteilich auf den Konflikt schaut, kann ein Schlüssel zur Lösung sein. Solange Menschen einseitig das Opfer verteidigen, verschärfen sie häufig die emotionalen Anspannungen.
Und, wie überall im Leben, gilt so eine Aussage nicht in akuten Notsituationen. Wenn jemand körperlich angegangen wird oder heftig beleidigt, dann muss zunächst das Opfer geschützt werden. Aber in der Weiterbearbeitung der Situation braucht es dann einen allparteilichen Blick auf alle Beteiligten und die Dynamik zwischen ihnen.
Und so wie diese Haltung in persönlichen Konflikten gilt, glaube ich, dass sie ebenfalls für politische Konflikte anwendbar sein sollte … auch hier könnte ein Ausstieg aus der Retter:innen-Rolle eine Deeskalation unterstützen. Aber das ist eine noch komplexere Geschichte, die unseren Newsletter sprengen würde!
Der Artikel ist eine gekürzte, aktualisierte Variante eines Kapitels aus meinem neuen Buch „Gemeinsam die Welt verändern – aber wie?“
Eva Stützel