Ökodorf Sieben Linden Podcast

„Wovon lebt ihr eigentlich?“ ist eine Frage, die Eva Stützel als Gründungsmitglied Sieben Lindens bereits tausendfach beantwortet hat. Sie erklärt im ersten Teil des Interviews die Ökonomie von Sieben Linden anschaulich und gibt Beispiele: Wo verdienen die Ökodorf-Bewohner*innen ihr Geld? Und wie geben sie es aus?
Im zweiten Teil geht es um die Rolle von Finanzen in Gemeinschaftsprojekten, um Kommunen mit gemeinsamer Ökonomie und um die Psychologie des Geldes – Eva ist nämlich studierte Psychologin. Ihr erfahrt auch, wie es dazu kam, dass eine Psychologin wesentliche Finanzthemen der Gemeinschaft Sieben Linden mitgestaltet.

Eva Stützel ist Gemeinschaftsberaterin und Autorin des Buches „Gemeinschaftskompass“.

Ökonomie auf der Sieben-Linden-Website erklärt: https://siebenlinden.org/de/oekodorf/oekonomie/

Autorin: Simone Britsch
E-Mail: podcast@siebenlinden.org
Interviewpartnerin: Eva Stützel

Veröffentlicht unter der Creative Commons (CC BY 4.0)
Copyright Freundeskreis Ökodorf e.V., 13.11.2021

Der Podcast zum Lesen:

Simone: Hallo, herzlich willkommen zu Folge 15 Ökodorf Podcast aus Sieben Linden. Wovon lebt ihr denn eigentlich? Das ist eine Frage, die Menschen sehr oft stellen, wenn sie Sieben Linden kennenlernen.

Eva Stützel ist Gründungsmitglied Sieben Lindens und von Anfang an auch mit den Finanzen beschäftigt. Sie erklärt im 1. Teil des Interviews die Ökonomie von Sieben Linden und gibt auch Beispiele. Wo verdienen die Ökodorf Bewohner*innen eigentlich ihr Geld und wie geben sie ihr Geld wieder aus? Im zweiten Teil geht es dann um die Rolle von Finanzen in Gemeinschaftsprojekten, auch in Kommunen mit gemeinsamer Ökonomie und um die Psychologie des Geldes.

Geld ist ja wirklich ein heikles Thema. Und Eva, als studierte Psychologin, kann auch zu diesem Aspekt einiges sagen. Hallo Eva, ich begrüße ich ganz herzlich und freue mich, dass du dir Zeit nimmst für ein Gespräch über Ökonomie.

Eva: Ja, ich freue mich auch und bin gespannt auf deine Fragen.

Simone: Ja, es geht los mit einer ganz klassischen Frage Eva, ich denke, die hast du auch, da du so lange hier im Projekt lebst, schon hundertmal beantwortet. Wovon leben die hier eigentlich?

Eva: Das hat ganz viele unterschiedliche Quellen. Aber das Wichtigste, um es überhaupt zu schaffen hier zu leben ist, dass wir eine sehr starke lokale Ökonomie aufbauen. Das wir jeden Euro, der nach Sieben Linden reinkommt, möglichst noch mal in Sieben Linden ausgeben. Also wir haben sehr viele unterschiedliche Quellen, von denen wir leben. Es ist nicht so, dass wir einen großen gemeinsamen Betrieb haben, sondern Leute haben ganz unterschiedliche Einkommensquellen.

Die größte gemeinsame Einkommensquelle ist unser Seminar Betrieb. Wir haben einen gemeinnützigen Verein, der einen großen Seminar Betrieb hat mit vor Corona-Zeiten 8000 Gästeübernachtungen im Jahr. Da sind über 30 Menschen angestellt. Das ist eine gemeinsame Einkommensquelle. Aber es gibt auch ganz, ganz viele andere. Ich habe heute früh noch mal nachgezählt in unserer siebenlindener Liste und festgestellt: wir sind insgesamt etwa 50 Menschen, die in Sieben Linden angestellt sind von den Sieben Linden Organisationen, also teilweise beim Verein, aber auch bei unseren Genossenschaften, dann Waldkindergarten etc…

Und diese Menschen zahlen wir mit unseren Mieten und mit unserem Essen, unsere Waldleute zahlen wir mit unseren Nebenkosten Beiträgen. Jeder andere Mensch, der seine Heizung bezahlt, zahlt damit irgendwie eine Erdöl Firma oder die Stadtwerke. Wir bezahlen damit die Leute, die unseren Wald umbauen. Mit unserem Gemüse zahlen wir unsere Gärtner und sorgen da wieder dafür, dass da Menschen Lebensunterhalt verdienen.

So haben wir eine ganze Menge Dinge, wo Menschen wirklich von uns Siebenlindenern für das bezahlt werden, was sie tun, aber das Geld dafür nicht nach außen gehen muss. Wir wissen, wofür unser Geld verwendet wird. Und das ist auch unsere ganz wesentliche Haltung zum Thema Ökonomie. Wir sind immer ausgestattet mit dem Motto Selbstversorgung als Selbstbestimmung und einem sehr, sehr großen Fokus auf Selbstversorgung.
Der ist von der Radikalität etwas abgemildert. Aber nach wie vor ist uns wichtig, dass wir möglichst viel im Dorf machen. Das hat auch den ökonomischen Faktor, aber nicht nur eine Profitorientierung. Das Wesentlichere für uns ist gar nicht nur, dass das Geld im Dorf bleibt, sondern auch, dass wir wissen, wie die Dinge produziert werden und was daran hängt.

Also mit unseren Lebensmittelbeiträgen zahlen wir nicht nur unsere Gärtner. Wir sorgen auch dafür, dass das Land, auf dem unser Garten ist von einem ausgemergelten Acker so langsam zu einem sehr fruchtbaren Garten geworden ist. Mit unseren Nebenkosten Beiträgen für das Holz sorgen wir nicht nur dafür, dass unsere Leute Brennholz aus dem Wald holen, sondern auch das der Wald um uns nach und nach von der Kiefern Monokultur zu einem vielfältigeren Biotop wird.

Simone: Zum besseren Verständnis würde Ich gerne noch mal zurückgehen zu diesem Punkt: Ein Euro, der von außen nach Sieben Linden kommt, macht hier eine dreifache Runde. Nehmen wir vielleicht ein Beispiel. Jemand aus der Region kommt zur Baumschule von Uga Wolf, kauft sich ein kleines Apfelbäumchen und bezahlt den Uga dafür. Was wird dadurch losgetreten?

Eva: Ja, Uga zahlt mit diesem Euro seine Miete und sein Essen, also von den vielen Euros, die er von den vielen Leuten kriegt, die insgesamt die Bäume kaufen. Und damit wird auch die Person bezahlt, die im Wald arbeitet und die im Wald unser Brennholz besorgt und auch den Wald Umbau macht. Mit dem Beitrag für die Lebensmittel werden unsere Gärtner bezahlt und die Menschen, die die Lebensmittel weiterverarbeiten. Und diese Menschen wiederum können mit diesem Geld wieder ihre Miete bezahlen.

Simone: Oder ein Haarschneide- oder einen Massagetermin hier vor Ort. Also wir haben ja auch viele kleine Dienstleistungen, die wir uns so gegenseitig ermöglichen, wo der Euro noch mal eine Runde macht.

Eva: Genau das fanden die Leute am Anfang komisch. „Wie ihr seid eine Gemeinschaft und ihr zahlt euch gegenseitig, wenn ihr jemandem die Haare schneidet?“Aber es ist doch immer besser jemanden aus Sieben Linden fürs Haareschneiden zu bezahlen, als zu erwarten, dass die Person mir das schenkt und dann nach draußen zu gehen und dort zu bezahlen.

Denn wenn man hier wirklich nicht nur seine Freizeit verbringt, sondern hier auch seinen reinen Arbeitsalltag hat, dann muss man für die Arbeit, von der man sonst lebt, auch Geld nehmen. Also es stärkt unsere Ökonomie, dass wir uns gegenseitig bezahlen und schwächt sie nicht. Und daneben gibt es nach wie vor trotzdem einen großen Bereich, wo einfach auch ganz viel selbstverständlich geschenkt und ohne Verrechnung gemacht wird.

Aber ich hatte noch vergessen zu sagen, wovon die Leute noch leben. Wir haben ungefähr 50% von uns, die hier intern angestellt. Das ist aber ein bisschen gemogelt. Denn da habe ich jetzt auch die zwölf Freiwilligendienstler mitgezählt, die das Geld nicht wirklich von uns kriegen, sondern über Freiwilligendienststellen.

Ja, und dann gibt es noch 25 von uns, die hier intern selbstständig sind. Die meisten Selbstständigen haben so eine Selbstständigkeit, wo sie auch viel aus Sieben Linden bekommen. Also ich zum Beispiel. Ich berate Gruppen außerhalb und verdienen damit Geld. Ich arbeite aber auch hier im Projektmanagement und kriege dafür Geld. Also es ist oft so eine Mischung, aber auf jeden Fall ist das Zentrum meiner Selbstständigkeit hier.

Ich bin keine, die jeden Morgen auspendelt und abends zurückkommt.

Simone: Nenn doch nochmal ein paar Beispiele, wer noch hier so selbstständig tätig ist vor Ort?

Eva: Unsere Handwerker zum Beispiel. Also fast alle Handwerkenden sind selbstständig und bauen unsere Häuser. Das ist noch mal eine andere Dimension von dem sich kreisenden Euro. Weil sozusagen das Geld, was wir für die Häuser ausgeben auch eine Investition ist, die man über 20 Jahre abschreibt. Und von diesem Geld können auch unsere Handwerker wiederum leben und damit wieder ihre Euros bezahlen.

Das ist also auch ein wichtiger Teil der internen Ökonomie. Andere Selbstständigkeiten hier sind IT-Beratung, Seminare geben, Illustrationen, Grafikdesign. Also viele Dinge, die man entweder durch Reisen oder jetzt heutzutage übers Internet machen kann. Ja, und dann sind es im Augenblick dreizehn von uns, habe ich nachgezählt, die eine feste Anstellung außerhalb haben. Die Leute sind immer erstaunt, wie wenig das sind, aber es entspricht auch unserem Ziel, dass das Leben in erster Linie im Dorf stattfinden kann.

Wir wollen kein Dorf sein, in dem die Leute auspendeln und abends wiederkommen. Wir wollen ein Dorf sein, in dem die Menschen leben und arbeiten. Und diese dreizehn finde ich ein gutes Verhältnis. Weil das Arbeiten in der Region verknüpft uns natürlich auch noch mal anders mit der Region und damit wirken wir auch hier in die Regionen.

Das ist häufig in den Berufen, die auch hier in der Region Mangelware sind. Im sozialen, therapeutischen, medizinischen Bereich, Lehrer… die werden hier händeringend gesucht. Und dann ist es ja schön, wenn wir hier auch dazu beitragen können, dass Menschen dieser Berufsgruppe in die Region kommen.

Simone: Und sicher gibt es ja auch einige, die nicht mehr erwerbstätig sind, die schon das Rentenalter erreicht haben. Hast du auch eine Zahl mitgebracht?

Eva: Also ich habe alle Sonstigen unter zwölf zusammengefasst. Das sind Rentner*innen, das sind Mütter im Erziehungsurlaub oder Leute, die sich gerade in der Zwischenzeit befinden. Tatsächlich haben wir so gut wie keine Menschen im Augenblick, die voll vom Arbeitsamt abhängig sind. Wir hatten früher immer ein paar Arbeitslose da, aber wir haben bei uns so viel Bedarf an Mitarbeitern im Moment, dass wir, glaube ich, gar keinen Arbeitslosen haben.

Simone: Auf jeden Fall kann ich mich nicht erinnern, jemals jemanden ohne Arbeit gesehen zu haben. Arbeit war immer gut da, ja.

Eva: Ja, genau. Aber bei erwerbsloser Arbeit, von denen die Menschen leben können ist es öfter mal so, dass Menschen in einer Phase der Arbeitslosigkeit hierherkommen. Aber es ist de facto so, dass wir ja auch im Moment für ein paar Stellen noch Leute suchen, sozusagen. Von daher gibt es auf jeden Fall viel Arbeit bei uns.

Allerdings muss man jetzt, der Ehrlichkeit halber erwähnen, dass die Arbeit nicht so wahnsinnig gut bezahlt ist. Also wir haben zwar inzwischen ein Lohnsystem, in dem wir nicht nur Mindestlohn immer bezahlen, aber es geht auch nicht so arg weit darüber hinaus. Und das macht es auch manchmal ein bisschen schwierig, Leute für sehr qualifizierte und anstrengende Jobs zu finden.

Simone: Das Lohnsystem in Sieben Linden berücksichtigt ja auch Faktoren neben natürlich Qualifikation und Herausforderung im Job. Faktoren wie Kinder, besondere Härte der Arbeit und so weiter. Eine große Tabelle, nach der wir hier Arbeit vergeben von den Organisationen aus, die du ja auch mal mit ausgearbeitet hast.

Eva: Ja, genau, die habe ich mit ausgearbeitet. Sie ist aber eigentlich inzwischen zu komplex geworden, finde ich. Das ist nicht so mein Lieblingsthema. Aber im Endeffekt bewegt sich die Lohnspanne zwischen knapp 10€ und 14€. Das ist keine große Lohnspanne im Vergleich zu dem, was sonst in der Welt so ist. Ich habe mal eine Definition von Unternehmen der Solidarischen Ökonomie gelesen, wo es heißt man bezeichnet Unternehmen noch als Unternehmen der Solidarischen Ökonomie, wenn die Spanne zwischen dem niedrigsten und höchsten Lohn nicht mehr als das sechsfache ist. Bei uns ist es gerade mal das 1,5 fache, wo sich unsere gesamte Lohnspanne abbildet.

Aber es ist dann halt auch so, dass Menschen, die woanders eher bei dem mehrfachen vom Mindestlohn arbeiten könnten, oft eine ganze Weile hier ihr Engagement reinstecken. Und irgendwann denken sie sich „ich will auch mal wieder das verdienen, was ich sonst woanders verdienen könnte.“ Und dann fangen sie an sich woanders umzuschauen. Das ist eine unserer Herausforderungen.

Simone: Sicher ist aber eine Qualität von Sieben Linden, dass man hier nicht ganz so viel Geld benötigt wie in einem normalen Lebensstil außerhalb.

Eva: Ja, wir haben einfach unheimlich viele Sachen, die selbstverständlich zu unserem Leben dazugehören, wofür andere Menschen sonst Geld ausgeben müssen. Also Gemeinschaftsleben schafft einen Pool, einen Schatz von Dingen, die wir haben. Wir haben einen Badeteich, wir haben eine Sauna, wir haben einen Tanz Raum in dem samstags in der Regel Disco ist. Andere Leute müssen, um in der Disco tanzen zu gehen, viel Geld ausgeben. Wir gehen einfach in unseren Tanzraum. Und wenn jemand Lust hat, eine große Party zu machen, ist der Raum auch selbstverständlich da und man muss nicht irgendwie teuer etwas anmieten.

Natürlich besuche ich auch woanders meine Freunde, wo sich das soziale Leben halt in einer Kneipe abspielt. Bei uns gibt es ganz, ganz viel Sozialleben, was sich einfach selbstverständlich in unserem Alltag abspielt. Und ich merke, wie viel mehr Geld ich einfach ausgebe, wenn ich irgendwo in der Stadt bin.

Simone: Das kenne ich auch in der Stadt. Da ist ständig der Griff zum Portemonnaie und am Ende des Tages stellt sich die Frage: Habe ich denn jetzt so viel mehr erlebt als in Sieben Linden oder habe ich einfach nur mehr bezahlt?

Eva: Ja, genau, der Teil ist auf jeden Fall deutlich günstiger. Und unsere Mieten sind im Verhältnis zu städtischen Wohnprojekten auch wahnsinnig günstig. Im Verhältnis zu der Altmark allerdings, in der es ein sehr niedriges Mietniveau gibt, sind sie teuer. Weil wir halt hochqualitative Öko-Häuser bauen. Dafür sind sie nicht so teuer. Wir zahlen 6-7 € pro Quadratmeter Miete und jedes städtische Wohnprojekt welches ich berate, guckt mich total neidisch an und fragt: „Wie schafft ihr das?“

Simone: Wie ist denn das mit den Häusern, dem Grund und Boden, den Mieten und diesem gemeinsamen Eigentum überhaupt organisiert, ökonomisch gesehen?

Eva: Ja, genau. Das ist ein Bereich, in dem wir tatsächlich auch eine Gemeinsame Ökonomie haben. Es gibt ja Kommunen, in denen alles Geld in einen Topf geschmissen wird. Das ist bei uns nicht so. Wir bezahlen uns gegenseitig. Und trotzdem ist es so, dass wir aber den Blick auf unsere Dorf-Ökonomie haben und das Kernbereiche unserer Ökonomie gemeinschaftlich organisiert sind.

Also wir besitzen gemeinsam hier über 100 Hektar Land und alle Häuser, die hier stehen, besitzen wir als Genossenschaft. Wir haben dafür zwei Genossenschaften, in die wir Anteile einbringen. Wir haben da in der Summe Pflichtanteile von rund 25.000 € pro erwachsene Person.

Manche Leute kritisieren uns dafür, weil sie sagen, das können sich ja nur Reiche leisten. Auf der anderen Seite muss man sagen, mit 25.000 € kann man sich normalerweise überhaupt keine Neubauwohnung leisten. Und schon gar nicht eine Neubauwohnung und einen Anteil an 100 Hektar Land. Das würde auch alleine gar nicht langen, um das Ganze zu finanzieren. Das ist für uns ein kleiner Baustein und das Ganze funktioniert auch nur deswegen, weil Menschen, die mehr haben, auch mehr hineingeben.

So können wir das Ganze erst finanzieren. In Kombination mit Bankdarlehen, gerade für die Häuser. Und auf der anderen Seite haben wir Wege installiert, die es möglich machen, dass auch Menschen dazukommen, die diese 25.000 € nicht haben. Also wenn jemand passt, wenn jemand sich hier annähert, das Projekt kennenlernt, toll findet und wir lernen diese Person kennen lernen und es hat menschlich einfach funktioniert, dann ist es noch nie daran gescheitert, dass diese Person kein Kapital hatte.

Da gab es immer Menschen, die Sie darin unterstützt haben, ihre Genossenschaftsanteile aufzubringen. Und Genossenschaftsanteile sind ja nur deponiertes Geld. Das Geld kriegt man ja zurück, wenn man geht. Das ist kein ausgegebenes Geld, es ist wie ein Sparbuch eigentlich. Von daher ist es auch für Menschen, die selber kein Geld haben schon mal leichter.

Und dazu ermutigen wir sie auch erst in ihrem Freundes-, Bekannten-, Verwandtenkreis zu gucken, ob sie da vielleicht von irgendjemandem ein Darlehen dafür kriegen. Weil wir brauchen ja natürlich das Geld, um das Ganze zu finanzieren. Aber wenn das wirklich nicht geht, um Beispiel unsere türkische Mitbewohnerin hatte keine Verwandten oder Bekannten, die ihr vielleicht dann dieses Geld mal eben leihen konnten, dann gibt es immer aus Sieben Linden Menschen, die bereit sind zu helfen.

Wir haben jetzt die schöne Lösung gefunden, dass man bei den Genossenschaften Solidar-Anteile zeichnen kann. Also man kann Anteile bei unseren Genossenschaften zeichnen, die als Pflichtanteile für andere dienen. Das können übrigens auch Externe machen. Also wenn jemand unterstützen will, dass in Sieben Linden auch wirklich noch mehr Menschen kommen können, die kein Kapital haben, könnten die hier Anteile zeichnen und damit könnte dann jemand anderes hier einsteigen. Und das läuft ganz hervorragend.

Daneben gibt es informelle, andere solidarische Geschichten. Zum Beispiel ist unsere Art unsere Gärtner zu bezahlen auch eine Art Solidarische Landwirtschaft, eine ungewöhnliche. Wir zahlen das, was die Gärtner nicht mit dem Gemüsepreis erwirtschaften über unsere monatlichen Beiträge einfach dazu. Unsere Gärtner sind alle sicher angestellt mit einem klaren Lohn, unabhängig von dem Ertrag unseres Gartens. Das gleiche auch in unserem Wald. Die müssen auch nicht besonders viel Holz irgendwie ausliefern, damit wir denen ihr Gehalt bezahlen. Das zahlen wir einfach selbstverständlich.

Dann gibt es noch etwas, was ich noch nicht erwähnt habe über Solidarische Ökonomie. Wie wir nämlich überhaupt unseren Haushalt organisieren. Der eigentliche Sinn des Wortes Ökonomie ist ja der Haushalt. Und da ist ein ganz wichtiger Teil, dass wir mit unseren 140 Menschen zusammen Lebensmittel einkaufen. Dafür haben wir extra einen Verein, der unsere Lebensmittelbestellungen macht und wir zahlen dann denen die Beiträge für die Lebensmittelbestellung. Wir haben einfach eine ganz große gemeinsame Haushaltskasse sozusagen, aus der fast alle 140 Menschen in Sieben Linden sich ihre Lebensmittel einfach holen können.

Wir haben große Lagerräume und wir können sowohl aus diesen Vorräten in unseren eigenen Küchen kochen oder wir können dreimal am Tag in unsere Gemeinschaftsräume gehen, wo in der Regel drei Mahlzeiten am Tag Frühstück, Mittagessen, Abendessen vorbereitet werden. Das ist wirklich auch ein ganz, ganz großer und wichtiger Teil unserer Ökonomie, der auch überhaupt nur diesen hohen Selbstversorgungsgrad möglich macht. Diese Haushaltskasse nimmt alles ab was unsere Gärten produzieren. Und in dieser Küche, die für uns alle kocht, wird auch sehr stark darauf geachtet, dass das verkocht wird, was gerade Überschüsse vom Garten sind. Also das System greift da total ineinander, sodass wir damit wirklich auf diesen hohen Versorgungsanteil, den wir im Bereich Obst und Gemüse haben, kommen. Da haben wir gut 70% Selbstversorgung übers ganze Jahr und mit allen Gästen zusammen. Das ist viel

Da gibt es auch noch den Faktor, dass in unserer Haushaltskasse und auch bei den Nebenkosten die Kinder grundsätzlich mitgetragen werden.

Simone: Ja, das wollte ich gerade fragen. Eltern sind ja auch immer so eine besonders ökonomisch belastete Personengruppe. Wie läuft es denn hier mit den Kindern?

Eva: Ja genau. Also die Kinder werden für Lebensmittel und Nebenkosten einfach nicht gerechnet. Die werden bei uns pro Kopf verteilt. Das heißt, egal ob ich kein Kind habe oder ob ich vier Kinder habe, ich zahle den gleichen Beitrag fürs Essen und für Nebenkosten. Und das ist auf eine Art ein solidarisches System. Gerade diskutieren wir es, dass es nicht immer nur solidarisch ist, weil es natürlich auch andere Faktoren gibt. Es gibt natürlich Eltern mit einem hohen Einkommen und Menschen mit niedrigem Einkommen und ohne Kinder. Und ob das wirklich so solidarisch ist, wenn Menschen mit einem sehr niedrigen Einkommen die Kinder von den Menschen mit hohem Einkommen mitfinanzieren, sind wir gerade am diskutieren. Das könnte man vielleicht noch anders lösen. Aber erst mal finde ich es hat einen hohen Wert, dass wir einfach sagen, unsere Kinder sind die Kinder der Gemeinschaft auf dieser Ebene.

Simone: Das ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass wir niemals einen Mangel an Kindern und Nachwuchs und jungen Familien hatten wie andere Projekte. Da die Eltern sich hier ökonomisch auf eine gewisse Weise unterstützt fühlen. Also die Kinder werden ja nicht komplett mitfinanziert. Alles was Kleidung, Schulbildung, Reisen, private Anliegen angeht, ist ja trotzdem aus der Familienkasse zu bezahlen. Aber eben die Punkte Nebenkosten und Lebensmittel sind unglaublich entlastend, wenn es von der Gemeinschaft getragen wird.

Eva: Ja, und die Mieten müssen die Eltern auch noch bezahlen. Also die Nebenkosten werden bezahlt, aber die Kinder brauchen ja auch mehr Fläche. Das ist dann schon auch mal ein richtig dicker Batzen.

Simone: Ich meine Solidarität heißt ja auch nicht komplette Gerechtigkeit. Ich glaube den Zustand der kompletten Gerechtigkeit auf allen Ebenen, wird man nie erreichen können. Und doch ist dir der Begriff Solidarität ja sehr wichtig in unserem ökonomischen System. Jetzt will ich mal fragen: wärst du denn auch mal in eine Kommune eingestiegen, wo das gesamte Geld der laufenden Ökonomie als auch die Vermögen geteilt werden?

Eva: Ja. Tatsächlich wäre Sieben Linden das, glaube ich, auch um ein Haar auch geworden. Und ich erinnere mich an den Nachmittag, als genau das nicht geschehen ist. Und ich bedauere den manchmal.

Simone: Wann war denn dieser historische Nachmittag?

Eva: Dieser historische Nachmittag war im Sommer 1993, also bevor wir zusammengezogen sind, zum 1. Mal im Projekt Zentrum. Wir wollten nämlich im Projekt Zentrum unsere Einkommen zusammen schmeißen. Denn es war klar, dass man dieses Projekt nur so sinnvoll aufbauen kann. Zumindest in meiner Erinnerung war das so. Es ist ja immer so eine Frage wie man alles rekonstruiert…

Aber meine Wahrheit ist, dass es damals ganz klar war, wir wollen eigentlich eine gemeinsame Ökonomie machen. Dann saßen wir zusammen und haben aufgeschrieben, was wir so im Monat brauchen und was wir so im Monat mitbringen. Auf diesem großen Flipchart stand am Ende ein Minus. Und dann haben wir drüber geredet, wie wir dieses Minus decken können und haben uns auf nichts verständigen können.

Also haben wir gesagt, okay, dann ziehen wir jetzt erst mal ein und jeder ist für sich selber verantwortlich. Und wenn wir dann erst mal da sind, irgendwie werden wir ja alle von etwas leben, können wir dann den Schritt in die Gemeinsame Ökonomie machen. Und den haben wir nie gemacht. Aber ich glaube, dass da der Fehler war, dass wir uns nicht einfach mutig getraut haben.

Und das ist tatsächlich etwas, das ich auch in der Geschichte aller Projekte, fast aller Projekte es gibt eine lobenswerte Ausnahme in meinem Wissen, durchzieht. Es passiert sehr, sehr selten, dass wenn man erst mal zusammenwohnt und keine Gemeinsame Ökonomie macht, sich dann zur gemeinsamen Ökonomie hin entwickelt.

Man denkt das, aber es passiert ganz selten und bei uns ist es auch nicht passiert. Im großen Projekt wir haben drei, vier Anläufe genommen, eine Gemeinsame Ökonomie zu starten. Es wurde nicht. Es gab in Unterprojekten, dieses „lass uns bald mal Gemeinsame Ökonomie machen.“ Aber dieses „bald mal“ hat in der Regel nicht geklappt. Es gab zwar bei uns zwei Untergruppen, die eine Gemeinsame Ökonomie hatten mit mehr als Ehepartnern. Aber bei Projekten ist so die Standarderfahrung entweder man fängt gleich an oder es wird nichts.

Simone: Interessant. Liegt es denn vielleicht daran, dass Geld so ein heißes Thema ist?

Eva: Ich glaube es tatsächlich in erster Linie eine politische Entscheidung. Es ist eine Entscheidung der Werthaltung, ob wir sagen, dass wir alles in einen Topf schmeißen und nicht genau verrechnen und uns alle dafür engagieren, dass das was wird. Oder ob man in diesem „Ich will aber doch im Endeffekt, wenn ich mehr leiste, auch mehr bekommen und ich will wissen können und ich will kontrollieren können“ bleibt. Also das ist in erster Linie glaube ich eine Grundhaltungsfrage. Dieser Gedanke, dass sich das mit mehr Kennenlernen und mehr Vertrauen dann auch tatsächlich entwickelt. Dummerweise, wenn wir uns mehr kennenlernen, lernen wir sowohl die positiven wie die negativen Seiten der Person kennen. Und da ist es manchmal besser ein Vorschuss Vertrauen zu geben.

Es gibt ja ganz viele Kommunen mit gemeinsamer ökonomie, wo es funktioniert. Also es kann durchaus funktionieren. Aber wenn wir 20 Leute sind, dann wird nicht das Vertrauen in alle 19 größer, dass sie achtsam mit unserem Geld umgehen und sich ökonomisch genauso verhalten wie Ich. Bei manchen ja, aber bei ein paar von denen auch nicht.

Und das ist meine Schlussfolgerung daraus. Aber es braucht eigentlich gar nicht dieses Vertrauen, dass jeder genauso mit dem Geld umgeht, wie ich das brauche. Es braucht das Vertrauen, dass das System insgesamt funktioniert. Und es braucht die politische Entscheidung. Wir wollen das, obwohl wir unterschiedlich sind.

Simone: Ich würde behaupten, das ökonomische System von Sieben Linden funktioniert auf eine Art und Weise. Aber es gibt schon ungeheuer viele Verrechnungsstellen und verschiedenste Organisationen und Jahresabschlüsse und so weiter. Ich habe in meinem Leben noch nie so viel mit Finanzen zu tun gehabt, wie in diesem Projekt. Und nun, Eva, bist du ja eine derjenigen, wenn man gar nicht mehr weiter weiß in Sachen Finanzen geht man mal zu Eva und fragt sie um ihre Meinung. Woher kannst und weißt du das denn alles? Du bist doch Psychologin?

Eva: Ja, das ist learning by doing. Auf jeden Fall. Ich hätte nicht gedacht, dass ich da irgendwie besondere Kompetenzen habe. Aber als ich 1993 in das Projekt eingestiegen bin, ist ziemlich kurz danach die Frau ausgestiegen, die sehr viel Orga und Finanzen unter sich hatte. Und keiner hat das Thema so richtig übernommen. Da gab es so ein Vakuum und dann habe ich angefangen, mich da so ein bisschen einzuarbeiten und Sachen zu übernehmen. Und dann bin ich in dieses Vakuum hineingezogen worden, weil ich einfach Lücken in wesentlichen Bereichen schlecht aushalten kann. Ich habe das im Wesentlichen wirklich dadurch gelernt, dass ich immer mehr gemacht habe und mich gebildet habe. Tatsächlich waren die Genossenschaftsprüfungen, Genossenschaften werden ja geprüft vom Prüfungsverband, für mich total gute Lehrveranstaltungen.

Und auf einmal habe ich auch gemerkt, es macht Spaß, weil es ist eine wichtige Grundlage von Gemeinschaft. Das hätte ich früher nie gedacht. Nie im Leben hätte ich mich dafür entschieden, Wirtschaft zu studieren. Und zwischendurch habe Ich auch mal gedacht: hättest du mal Wirtschaft studiert. Dann hätte ich das alles besser verstanden.

Simone: Ja, vielleicht ist auch diese Kombination aus Psychologie und ökonomischem Verständnis eine ganz glückliche Fügung gewesen. Die ja bei dir auf jeden Fall dazu geführt hat, dass du viele gute Entscheidungen begleitet hast bei uns im Projekt, die noch heute tragen. Es gibt ja in spirituellen Kreisen immer so einen Satz Geld ist auch nur eine Form von Energie. Kannst du den anhand von Sieben Linden unterschreiben oder widerlegen?

Eva: Unterschreiben! Also Geld ist eine Form von Energie, ist eine Form von Wertschätzung und eine Form von Handlungspotential. Geld gibt Handlungspotenzial. Das ist für mich auch ein Grund, warum ich auf die Frage: Warum habt ihr nicht eine alternative Währung in Sieben Linden? sage: „Ach, ich finde eigentlich, Geld ist ein ganz geeignetes Verrechnungsmittel und noch ein zweites Mittel einzuführen macht die Sache nur komplizierter.“

Simone: Zumal ja das Hauptziel der lokalen Währungen ist, dass man mehr in lokale Wirtschaftskreisläufe einsteigt und ich glaube da kann man uns schon kaum noch toppen, oder?

Eva: Genau eben dieses Ziel. Da haben wir das Bewusstsein. Dafür brauchen wir die lokale Währung nicht. Wir tauschen durchaus in Sieben Linden informell immer mal wieder Haushalts Dienste gegen Massagen und Ähnliches. Also würde ich sagen, unsere interne lokale Währung ist durchaus auch mal eine Stunde Haushaltsdienst. Aber eine andere lokale Währung würde das Leben nur komplizierter machen. Und man müsste bei den Organisationen auch genauso Buch führen und alles in Geld verrechnen und Steuern dafür zahlen. Und das ist den Aufwand nicht wert. Wir haben daher ein unkompliziertes Verhältnis zu Geld. Ich sage es ist eine Tauscheinheit die Sinn macht. Und diese Tauscheinheit hat aber auch was mit Energie zu tun, weil sie mir natürlich auch Handlungsfreiheit gibt und Möglichkeiten Dinge zu tun.

Simone: Wenn du jetzt entscheiden könntest, an einer Stelle in der Sieben Linden Ökonomie eine Weiche neu zu stellen, welche wäre das?

Eva: Ich würde das Bezahlsystem solidarischer gestalten. Also wir zahlen alle in der Regel gleich, also nach bestimmten Kriterien, aber haben da wenig Sachen, wo Menschen, die mehr Geld verdienen auch mehr bezahlen. Und das würde ich eigentlich gerne verändern. Idealerweise natürlich nach Selbsteinschätzung sodass die Menschen das dann aber auch wirklich so ausfüllen. Also das dann wirklich die Menschen, die mehr Geld verdienen auch mehr Geld bezahlen. Damit die Menschen, die weniger verdienen, weniger bezahlen müssen. Das würde ich total gerne verändern. Sowohl strukturell als auch in der Haltung der Menschen.

Das ist so ein bisschen die Angst. Es gibt wenige Leute, die sehr viel mehr Geld verdienen. Es gibt Leute, die sehr wenig verdienen, Leute, die ungefähr durchschnittlich verdienen und Leute, die ein klein bisschen mehr verdienen. Vor vielen, vielen Jahren hatten wir mal drei Bezahl-Klassen eingeführt. Da war es dann so, dass sich 50% unterdurchschnittlich, 40% durchschnittlich und 10% überdurchschnittlich eingestuft haben. Und das ging dann natürlich nicht auf. Ich fürchte, das wäre wieder so. Aber wenn ich jetzt den Wunsch frei hätte, dann würde ich sagen, wir machen ein solidarisches Bezahlsystem was funktioniert, wo wirklich die Leute mit mehr Geld, die mit weniger Geld ausgleichen und das substanziell auch eine Entlastung bietet.

Simone: Ja, da hast du dann ja als Psychologin auch noch eine Menge Spielraum, um an der Bewusstseinsentwicklung hier intern mitzuwirken. Das scheint ja etwa so zu sein, wie im Durchschnitt der Gesellschaft, dass Menschen sich immer ein bisschen schlechter dastehen sehen, als sie es vielleicht in Wirklichkeit objektiv wären. Ja, ich denke, dass man aus diesen Ausführungen schon ein bisschen was lernen kann. Wer mehr lernen möchte, kann dich ja auch als Beraterin für Projekte, Organisationen, Initiativen engagieren, wo du deine Stärke sicherlich auch im ökonomisch, organisatorisch Bereich hast.

Simone: Ja, und Geld ist Energie, haben wir gesagt. Ich würde dir ja jetzt auch gerne anbieten ein paar Haushaltsdienste für dich zu machen, weil mir dieses schöne Interview gegeben hast, aber ich bin in meinen Haushaltsdiensten so im Minus, dass ich dir das leider nicht zugestehen kann. Ich setze hier wie so oft in Sieben Linden auf dein ehrenamtliches Engagement. Da haben wir nicht viel drüber gesprochen, aber das gibt es hier tatsächlich sehr reichlich. und da bist du auch immer wieder eine von denen, die in kleine und große Lücken mit rein springt. Ja und danke einfach für dieses informative Gespräch.

Eva: Ja, danke dir für die Fragen.

Simone: Wir werden Eva noch öfter hören in dieser Podcast Reihe. Sie hat auch noch ganz andere Schwerpunktthemen, zum Beispiel den Gemeinschafts-Kompass und da freue ich mich auch schon sehr darauf, das mit ihr weiter zu erörtern.

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