Roland Budz Gemeinwohlökonomie GWÖ

Sieben Fragen an „den Neuen“: Roland Budz

Roland Budz (Jahrgang 1985) ist „der Neue“ in Sieben Linden. Er bringt neuen Schwung und neue Ideen mit! Er sucht Wege aus dem Kapitalismus. Seine Begeisterung für Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ), Wirtschaftsdemokratie und solidarisches Wirtschaften wirkt auch in Sieben Linden ansteckend. Lernt Roland, seine Motivation und Argumente, hier kennen …

1. Du wohnst erst seit Juli 2023 in Sieben Linden. Wie liefen die ersten Monate?

Ich bin zusammen mit meiner Frau in die Probezeit gestartet. Wir sind auf dem „Südfeld“ in einem ehemaligen Zirkuswagen angekommen und haben dort einen wundervollen Sommer verbracht. Unsere Nachbar:innen haben uns herzlich aufgenommen, so dass wir uns schnell wohl gefühlt haben. Seit November wohnen wir in einer WG im Strohballenhaus „Kranich“. Meine Probezeit-Frage „Wie kann ich mich in Sieben Linden auf das Wesentliche konzentrieren?“ spiegelt auch meine größte Herausforderung wider, da ich vielfältig interessiert bin und es viele tolle Angebote in Sieben Linden gibt. Insgesamt fühle ich mich sehr wohl und freue mich im Ökodorf leben zu dürfen.

2. Wie hast du Sieben Linden kennengelernt und was hat dich angezogen?

Ich habe Sieben Linden 2022 durch das „Gemeinwohl-Ökonomie- und Tanzfestival“ kennengelernt. Es war eine sehr gelungene Veranstaltung und Christian Felber (der Gründer der GWÖ: https://germany.ecogood.org/) war die komplette Zeit vor Ort. Das Ökodorf als „Realraum“, in welchem theoretische Konzepte nicht nur diskutiert, sondern auch erprobt und verstetigt werden, hat mich maßgeblich angezogen. Die ökologische Lebensführung, die genossenschaftliche Organisation, der wertschätzende Umgang und die vegetarische/vegane Ernährungsweise in den Gemeinschaftsbereichen sind weitere Highlights für mich. Als Veganer bin ich besonders dankbar dafür, dass ich nicht täglich mit tierischen Produkten und gedanklich/emotional mit den Haltungsbedingungen der Tiere und den Umweltauswirkungen konfrontiert werde.

3. Das Thema „Alternativen zum Kapitalismus“ liegt dir sehr am Herzen – wie kam es dazu?

Seit meiner Ausbildung zum Industriekaufmann bei der Salzgitter AG im Jahr 2005 bin ich Mitglied der IG Metall. Ich habe mich dort nach meiner Ausbildung als freigestellter Interessenvertreter für die Belange meiner Kolleg:innen eingesetzt. In meinem Studium habe ich mich verstärkt mit Themen aus der (Sozial-)Ökonomie und der Arbeitswelt beschäftigt. Ich habe als Referent dem Schaeffler-Gesamtbetriebsrat zugearbeitet und dabei einen Arbeitskampf miterlebt, bei welchem mehrere Standorte geschlossen oder verkauft wurden. Allein in Deutschland hat Schaeffler 4.400 Arbeitsplätze abgebaut. Warum? Die produzierenden Standorte haben „schwarze Zahlen“ geschrieben und haben bis zu ihrer Schließung Mehrarbeit geleistet. Die Verlagerung in Niedriglohnländer war eine rein politische Entscheidung und hatte nichts mit „Sozialpartnerschaft“ zu tun. Wesentliches Ziel war die Profitmaximierung – das hat mich wütend gemacht!

4. Hat dich auch die Kapitalismuskritik nach Sieben Linden geführt?

Ich promoviere derzeit an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen zum Thema „Wirtschaftsdemokratie“ und denke viel über Lösungen nach: Das kapitalistische Wirtschaftssystem beruht auf der Ausbeutung von Menschen durch Menschen. Ausschlaggebend hierfür sind unter anderem die Eigentumsverhältnisse, da darüber auch die Macht- und Verteilungsverhältnisse definiert werden. Soziale Ungleichheit, Ausbeutung, die Zerstörung unserer Umwelt, Sinn-, Politik- und Demokratiekrisen, sind für mich alle auf das engste mit der kapitalistischen Produktionsweise verbunden. Das sind (Folge-)Erscheinungen eines Wirtschaftssystems, das unendliches Wachstum und Kapitalakkumulation als Ziel hat. Deswegen spreche ich mich nachdrücklich für Alternativen zum Kapitalismus aus, welche am besten noch mit einer Demokratisierung der Ökonomie einhergehen und zwar im Betrieb und darüber hinaus. 

In Sieben Linden finde ich auch die „andersartigen“ Lebens-, Arbeits- und Entscheidungsprozesse inspirierend und wegweisend. Zum Einen kann mein:e Nachbar:in mein:e Arbeitskolleg:in sein und abends besuchen wir zusammen noch eine Veranstaltung in Sieben Linden. Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem sind fließend, und dies kann sich positiv auf das Arbeitsklima auswirken. Auch werden Entscheidungen beim Freundeskreis in vielen Gremien gemeinsam getroffen, so dass „Top Down-Entscheidungen“ eher selten vorkommen und die Mitarbeitenden in den Entscheidungs- und Weiterentwicklungsprozess ihres Arbeitgebers involviert werden. Dies alles sind Ansätze, die in „normalen“, kapitalistischen Betrieben nicht bestehen.

Auch das Vorhandensein von Genossenschaften mit ihren demokratische Strukturen (jedes Mitglied hat unabhängig von der Höhe der Einlage ein Stimmrecht) ist für mich ein „Statement“ gegenüber den „klassisch-kapitalistischen“ Aktiengesellschaften.

5. Was ist derzeit dein wichtigstes Projekt in Sieben Linden?

Mein derzeit wichtigstes, ehrenamtliches Projekt in Sieben Linden ist die Gemeinwohl-Ökonomie-Zertifizierung des „Freundeskreises Ökodorf e.V.“, der als Verein die Bildungsarbeit in Sieben Linden leistet. Ich habe eine Ausbildung zum GWÖ-Berater absolviert und die Zertifizierung des Vereins ist mein erstes Projekt. Wir planen, die Zertifizierung bis zu unserem GWÖ- und Bewegungsfestival vom 12. bis 15. September abzuschließen. Ein Highlight: Christian Felber, der Begründer der GWÖ wird anwesend sein, wenn wir am 15. September die (bis dahin hoffentlich) erreichte Zertifizierung unseres Bildungsbereiches feiern. Eine öffentliche Podiumsdiskussion und spannende Workshops sind an diesem Tag auch geplant.

6. Lass‘ uns visionär denken: Wie könnte die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung die Wirtschaft verändern?

Bei der GWÖ dient die Wirtschaft wieder allen Lebewesen und unserer Erde. Wirtschaften ist der Zweck (und nicht das Ziel), um Verbesserungen für alle zu erreichen. Wenn die Wirtschaft wieder „vom Kopf auf die Füße“ gestellt werden würde, könnten weltweite Verbesserungen erzielt werden. Das Geheimnis liegt in der Gemeinwohl-Matrix,  welche die Werte „Menschenwürde“, „Solidarität und Gerechtigkeit“, „Ökologische Nachhaltigkeit“ sowie „Transparenz und Mitentscheidung“ beinhaltet. Im Rahmen einer Zertifizierung wirken Mitarbeitende mit und es werden alle Aspekte des Wirtschaftsprozesses von den Lieferketten bis hin zur gesellschaftlichen Wirkung betrachtet und beurteilt.

Wenn nun noch Forderungen der GWÖ-Bewegung wie…

  • die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an vorrangig gemeinwohlzertifizierte         Unternehmen,         
  • Steuervorteile für GWÖ-zertifizierte Unternehmen,         
  • günstigere Kredite für GWÖ-zertifizierte Unternehmen und         
  • Vorrang bei Wirtschafts- und Forschungsförderungen

von Politiker:innen umgesetzt werden, sind das Schritte in die richtige Richtung, um einen ökonomischen Wandel einzuleiten.

7. Was ist deine Rolle beim Gemeinwohl-Ökonomie- und Bewegungs-Festival mit Christian Felber im September?

Ich bin einer der Organisator:innen des GWÖ- und Bewegungsfestivals vom 12.-15. September. Dort bringe ich theoretische Aspekte aus meinem Studium und praktische Erfahrungen aus meinem Engagement aus der Gewerkschafts- und GWÖ-Bewegung ein. Ich werde einen Vortrag zum Zertifizierungsprozess des Freundeskreises Ökodorf e.V. halten und den Teilnehmenden auch auf spielerische Weise die GWÖ näher bringen. Und ich freue mich sehr darauf, dass wir die von mir begleitete GWÖ-Zertifizierung dann groß feiern! Weiterhin planen wir, einen Stand der GWÖ-Regionalgruppe „Altmark West“ beim Festival aufzubauen. Diese haben wir im Januar 2024 in der Bibliothek in Sieben Linden gegründet.

In diesem Sinne: Auf zum Gemeinwohl! Gemeinsam können wir die Wirtschaft positiv verändern!

Jetzt anmelden: 12.-15. September 2024 in Sieben Linden:

Gemeinwohl-Ökonomie- und Bewegungs-Festival mit Christian Felber. Bringen wir die festgefahrenen Verhältnisse zum Tanzen!

HIER zum neuen Podcast mit Roland Budz

Das Interview führte Simone Britsch

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